l a — c h e n
von Brigitte Hobmeier
Ich sehe dich so wenig lachen – das sagte eine Bekannte erst vor Kurzem zur mir. Das hat mich in diesem Augenblick sehr getroffen. Denn eigentlich lache ich unheimlich gerne und will auch andere ständig zum Lachen bringen. Bei neuen Bekanntschaften bin ich immer auf der Suche nach der Humorebene, auch wenn das bedeutet, sich ein Stück weit zum Deppen zu machen. Ich kenne das von meinem Vater, der den Raum des Lachens immer sucht, um einen gemeinsamen Treffpunkt zu finden. Darin bin ich ihm vielleicht ähnlich. Ich möchte auch jetzt nicht mein Lächeln verlieren, griesgrämig und verbittert werden. Sondern mit schwierigen Situationen, wie diese eine ist, umgehen und die Zeit für mich und die Meinen erträglich machen. Mir das Leben schön machen, egal ob auf der Sonnen- oder Schattenseite. Dieser Satz neulich hat mir das bewusster gemacht: Die Entscheidung liegt bei uns, wie wir nach dem anfänglichen Schock aus dieser Zeit herausgehen. Mir war von Anfang an wichtig, dass meine Söhne sie unbeschadet erleben. Aus Kleinigkeiten haben wir neue Fantasieräume gebastelt. Das Lachen meiner Söhne, das so richtig aus dem Bauch herauskommt, ist mir das Liebste. Ich schaue sie an und denke mir: „Ihr wunderbaren Menschen, danke für diese Lebensfreude und danke, dass ihr mich jeden Tag zum Lachen bringt, ob ich nun will oder nicht."
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Brigitte Hobmeier war kürzlich im Bayerischen Wald. Dort wurden Dreharbeiten für einen Film wieder aufgenommen, nachdem sie im März nicht beendet werden konnten. Von den Salzburger Festspielen bis zum Tatort: Die reich prämierte Münchner Schauspielerin ist auf der Bühne wie im Film zuhause. Schnitt sie sich im Kindergarten noch heimlich die roten Locken ab, sind sie heute zu ihrem Markenzeichen geworden. Die geschenkte Zeit mit ihren beiden Kindern hat sie für die Drehstopps entschädigt. Und ihre Überzeugung, dass Humor ein Grenzöffner ist. Fotografie Joachim Gern
h e r — z
von Wolfgang Niedecken
Nächstes Jahr werde ich siebzig. Ständig kommen neue Phasen in meinem Leben: Erst vor kurzem bin ich Opa geworden, gleich zweifach, durch den jüngeren meiner Söhne und der älteren meiner Töchter. Fast gleichzeitig habe ich davon erfahren – es war fast wie ein Wettrennen, am Ende lagen nur zehn Tage dazwischen. Die Frage, welche Welt ich meinen Kindern und Enkeln hinterlasse, wird immer wichtiger: Eine große Verantwortung, der man sich bewusst sein und nach der man handeln muss. Das erfordert Kraft, die man nicht nur einfordern kann, sondern auch weitergibt. Wie in der Liebe sind Geben und Nehmen immer im Ausgleich. Liebe ist altruistisch. Wir haben noch ein weiteres neues Familienmitglied, einen Hund, der sowas wie die Reinkarnation meines ersten Hundes ist – aus der Anfangszeit von BAP, vor gut 40 Jahren. Es sind unfassbar schöne Gedanken, die durch Numa in mir aufkommen. Immer mehr wird mir klar, dass ich ohne die Liebe meiner Familie nicht existieren könnte, ich würde scheitern. Meine Eltern hatten einen kleinen Lebensmittelladen, ich stamme aus einem Familienbetrieb. Und so ähnlich sehe ich meine Mitarbeiter: Wir sind Familie, machen vieles selbst und nennen das ironisch Kitchen-Table-Management. Als wir erfuhren, dass einige aus dem Team, die seit Jahren für so viele tolle Abende und Konzerte gesorgt haben, finanzielle Hilfe benötigen, haben wir einen Crew-Aid-T-shirt-Verkauf gestartet. Mittlerweile ist schon die zweite Auflage vergriffen. Das sind wahre Herzensangelegenheiten – Entscheidungen, die wie so vieles, das ich tue, direkt aus dem Herzen kommen. Ich lebe mein Leben nach dem Grundsatz des kategorischen Imperativs. Wie die Beatles, die meiner Generation so viel Lebensfreude geschenkt haben. Sie haben mich geprägt, bis zu ihrer letzten Zeile, die sie zum Abschied in „The End“ gesungen haben: „The love you take is equal to the love you make“.
Et kölsche Hätz (Das Kölner Herz): Wolfgang Niedecken ist vieles, Musiker (28 Alben mit seiner Kölschrock-Band BAP), Maler und Autor, aber auch Träumer für eine gerechtere Welt, Kämpfer für ehemalige Kindersoldaten in Afrika und gegen Rechts, Bundesverdienstkreuzträger. Seit 1976 ist er Sänger, Texter, Komponist und Frontmann von BAP, im September dieses Jahres erscheint das neue Album ALLES FLIESST. Rastlos, stets politisch und gesellschaftlich engagiert – immer 100 Prozent Niedecken, nach dem Motto: "Arsch huh, Zäng ussenander" – für Nicht-Kölner: "Arsch hoch, Zähne auseinander".Fotografie Tina Niedecken
l e e — r e
von Candida Höfer
Warum es in der Regel erst leer und still sein muss, bevor man etwas wahrnimmt, anerkennt oder verändert, frage ich mich oft. Allein mit den Dingen zu sein, mit dem Raum, der Architektur an sich, mit unterschiedlichen Gegenständen – für meine Arbeit benötige ich eine Art der stillen Auseinandersetzung, um Zugang zu den jeweiligen Räumen zu finden. Durch das Weglassen von Menschen werden Strukturen sichtbar und treten hervor. Gleichzeitig geben die menschenleeren Aufnahmen etwas von der Bestimmung einer Räumlichkeit wieder, auch von ihrem Schicksal. Vom Widerspruch zwischen der ursprünglichen Absicht und der tatsächlichen Zweckmäßigkeit. Die Energie eines Innenraumes ist meines Erachtens keine Frage von voll oder leer. Eher das, was man bei Menschen Charakter nennen würde. Und auf genau dieses Hervortreten räumlichen Charakters fokussiere ich mich in meinen Arbeiten. Nicht um Situationen. Einsamkeit schafft eine Andersartigkeit der Wahrnehmung. Stille und Ruhe sind mir seit jeher wichtige Begleiter. Doch in persönlichen Momenten der Leere bin ich gerne von Freunden umgeben.
Sie ist Absolventin der Düsseldorfer Akademie und Schülerin Bernd Bechers, dessen Lehre die zeitgenössische fotografische Avantgarde geprägt hat. Candida Höfers Werk untersucht die Formen und Strukturen menschenverlassener Räume, öffentliche zumeist, Museen, Theater, Bibliotheken und mehr. Die 1944 geborene Documenta-Teilnehmerin legt in ihren Raumanalysen Kultur- und Machtverhältnisse offen – obwohl die Arbeiten auf den ersten Blick nüchtern und architektonisch erscheinen. Ihre über 30-jährige Beschäftigung mit leeren Orten erhält mit den Erfahrungen der letzten Monate neue Bedeutung: Unbelebte Bahnhöfe, Banken und Zoos werden die Erinnerung an 2020 prägen.Fotografie Candida Höfer/VG Bild-Kunst, Bonn "La Salle Labrouste – La Bibliothèque de l'INHA Paris II 2017"Porträt Ana Hop
s ch ö n — h e i t
von Olaf Hajek
Wenn jemand Melancholie entdeckt, dann habe ich es geschafft. In meinen Arbeiten sollen keine glatten Flächen zu sehen sein, stattdessen soll sich eine verborgene und persönliche Welt auftun, in der Schönheit aus Gegensätzen und dem Imperfekten entsteht. Gerade wenn etwas dargestellt wird, das im weitesten Sinne Schönheit definiert, kommen bei mir Gedanken darüber auf, wie diese Schönheit überhaupt existieren kann und woraus sie sich zusammensetzt. Ich hatte das Glück, dass ich ins Atelier gehen kann und trotz der Situation etwas zu tun habe, denn wenn ich arbeite, bin ich im Fluss, lebe fernab der Realität. Wenn man kreativ ist, findet man immer Trost in seiner Arbeit, weil ein Moment in dieser anderen, zugleich schönen Welt entsteht, die man sich selbst erschaffen kann. Farbe und Licht sind Dinge, von denen ich persönlich abhängig bin. Wenn sie nicht da sind, muss ich sie in meiner Arbeit selbst erschaffen. Ich reagiere sehr emotional auf Ereignisse und habe oft Stimmungswechsel. Ich glaube, dass ich besser funktionieren kann, wenn ich Licht habe. Deshalb habe ich im Sommer niemals Urlaube gemacht und bin stattdessen im Winter weggefahren, um mehr Wärme und mein Licht zu kriegen. Denn der Winter war für mich früher die Zeit, in der ich mit mir hadern musste. Das gehört zum Leben dazu, das ist nichts, wovor ich weglaufe. Solche Dinge muss man im Laufe der Zeit akzeptieren.
Olaf Hajek schuf vielschichtige Fantasiewelten für zahlreiche internationale Publikationen wie für die New York Times. In der Ausstellung „Dark Patterns“ im März 2020 in der Hamburger Galerie Feinkunst Krüger zeigte der vielfach ausgezeichnete Illustrator und Künstler hauptsächlich Bleistiftzeichnungen. Doch die Absenz von Farbe war für ihn kaum erträglich. Nicht lange und er griff zum Ausgleich für ein Dutzend neuer Werke in seine Buntstiftsammlung. Fotografie Kristian Schuller Illustration Olaf Hajek
s t i l — l e
von Vicky Krieps
Wenn ich nicht weiterweiß, verbinde ich mich mit der Stille. Was für ein riesiger Kraftpol, wenn man es schafft, den Kopf auszuschalten und nur im Jetzt zu sein. So oft ich kann, suche ich Stille im Grünen. Ich habe zwei Kinder, da ist das so eine Sache! Mein Trick ist das frühe Aufstehen, denn am Abend ist es zwar ruhig, aber meine Gedanken sind dafür umso lauter. Wenn ich auf dem Bauernhof der Urururgroßeltern bei Luxemburg bin und in der Natur um das Haus herum spazieren gehe, erlebe ich eine Stille, die ich nirgendwo sonst finde. Die letzten Wochen waren taff und die Situation hat mich allgemein aus dem Rhythmus gebracht. Ich erfahre die Zeit wie in einem Spiegelkabinett: Gerade jetzt, wo ich nichts mit anderen Leuten zu tun habe, lerne ich etwas über Abgrenzung. Als sehr offener und sensibler Mensch wurde mir schon häufig geraten, dass ich lernen müsse, mich zu schützen. Wirklich verstanden habe ich das erst jetzt. Meine neue Aufgabe wird sein, diese Erkenntnis in die Tat umzusetzen, wenn ich das Bedürfnis dazu verspüre. Auch der Unterschied zwischen selbstgewählter Stille und der, die einem verordnet wird, ist mir bewusst geworden. Ich habe immer behauptet, gerne alleine zu sein. Jetzt erkenne ich: Es ist leicht gesagt, wenn ich es mir aussuchen kann. Aber wenn ich gezwungenermaßen alleine in der Stille bin, ist sie manchmal schwer auszuhalten.
Introvertiert und Schauspielerin zu sein ist für Vicky Krieps kein Gegensatz – denn für sie passiert vor der Kamera in der Stille oft mehr als im „Sound“. Diese Momente, in denen absolut nichts gesagt wird, vermisste die Luxemburgerin in den letzten Wochen schmerzlich: Zuhause stand sie für ihren 5-jährigen Sohn als Dauerentertainerin auf der Bühne. Fotografie Puria Safary
a n — s p r u c h
von Otto Drögsler und Jörg Ehrlich
Wir merken natürlich, wie sich die Prioritäten in der Mode verschieben können. Dass man derzeit weniger braucht, oder besser gesagt: will. Jedoch ist das „Habenwollen“ letztlich der entscheidende Impulsgeber in unserem Metier. Egal ob ein Mantel von Dries Van Noten oder die Hose von ODEEH gekauft werden: Wir brauchen nicht wirklich etwas. Menschen müssen emotional an dem Punkt sein, diese Stücke haben zu wollen. Mit diesem scheinbaren Konflikt muss man leben, wenn man in der Mode erfolgreich sein will. Was unseren Anspruch an die Arbeit im Atelier betrifft, gilt mehr denn je, das Produkt in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn das nicht stimmt, egal in welcher Preislage, kann man das nur sehr bedingt ausgleichen. Dabei hilft uns jede Erfahrung, die wir mit der Zeit und den Jahren sammeln konnten. Wir versuchen, bei uns zu bleiben und bei allem nicht allzu eitel zu sein – sowohl visuell als auch verbal ist es wichtig, immer gemäß der eigenen Wahrnehmung und Unternehmensgröße zu „sprechen“.
Mutig. Kreativ. Eklektisch. Gelegentlich lässig. Elegant, aber auch zuweilen formell und streng. Ein Spiel mit rigorosen Silhouetten. Mit einer Spannung zwischen traditionell Geschneidertem und Experimentellem. Das Designer-Duo Otto Drögsler und Jörg Ehrlich steht seit 2008 mit ihrem Label ODEEH für die rar gewordene Atelier-Tradition. Der Ehrgeiz der unterschiedlichen Temperamente hat die Marke zu einer international namhaften Luxusmarke gemacht. Von seinem Lehrmeister Karl Lagerfeld hat Drögsler gelernt, auch den Rücken zu betonen, denn „man muss einer Frau hinterhersehen, wenn sie den Raum verlässt“. Fotografie Yves Borgwardt, Ingo Peters
l e r — n e n
von Lisa Batiashvili
Sich jeden Tag kleine Aufgaben stellen – danach lebe ich und das versuche ich auch meinen Kindern zu vermitteln. Als Violinistin hatte ich von klein auf mein Instrument – vielleicht fällt es mir deshalb leicht. Aber auch auf andere Lebensumstände kann man dieses Prinzip übertragen. Gerade in der aktuellen Situation ist es wichtig nicht aufzugeben, sondern nach vorne zu schauen – seine kämpferische Natur zu bewahren. Ich war in der Corona-Zeit sehr aktiv, für mein Album, aber auch, um als künstlerische Leiterin eine Lösung für die Audi Sommerkonzerte zu finden. Hätte man mir im Januar gesagt, wie dieses Jahr sich entwickeln würde – dass die ganzen wertvollen Konzerterlebnisse, die mit vielen meiner Lieblingsmusiker stattfinden sollten, alle abgesagt werden würden und dass sich „mein“ Festival so verändern müsse – das wäre eine riesige Enttäuschung, ein Schock für mich gewesen. Doch die Dinge haben sich entwickelt, Schritt für Schritt. Und zunehmend hat sich das Gefühl der Enttäuschung in die Hoffnung verwandelt, etwas retten zu können. Als mir klar wurde, dass das Festival teilweise stattfinden würde – im Netz, mit guten Mikrophonen, mit ein wenig Publikum, einer Moderation und schön inszeniert –, war ich darüber sehr, sehr glücklich. Wir leben heutzutage in einer Welt, die uns enorme Möglichkeiten gibt. Und man merkt, dass man selbst und die anderen viel flexibler sind, als man dachte.
Sie ist zweifelsohne eine der Besten ihres Fachs – und hat außergewöhnlich früh mit ihrer Ausbildung begonnen: Bereits mit vier Jahren bekam die georgisch-stämmige deutsche Violinistin Lisa Batiashvili von ihrem Vater ersten Unterricht. Vertrieben vom Bürgerkrieg wurde Deutschland ihre neue Heimat, inzwischen München, wo die immer strahlende Ausnahmemusikerin mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt. Auch in der aktuellen schwierigen Situation ging es immer weiter: als Leitung der Audi Sommerkonzerte und mit dem Erscheinen ihres neuen Albums ‚City Lights‘. Die Zeit steht niemals still.Fotografie André Josselin
n ä — h e
von Sammy Hart
Vorher war unser Alltag von Atemlosigkeit geprägt. Als wären wir funktionierende Rädchen in einem großen Mechanismus. Ich kenne viele Menschen, die sich eine Auszeit nehmen mussten, weil ihr Leben immer schneller und schneller wurde. Dann kam ein Gefühl des Stopps. Ich kam zur Ruhe. Ich konnte nicht einmal mehr in die Berge, wie noch für mein Buch „Oceans of Clouds“. Nach einer Zeit wurde es gespenstig ruhig. Ich fing an, meine direkte Umgebung, im Englischen Garten und an der Isar zu fotografieren. Die Natur hatte endlich Luft zu atmen, zu erblühen. Wir müssen die Poesie erkennen, die direkt vor unseren Augen ausgebreitet liegt. Und empfinde ein gutes Bild als ein Geschenk – geliehene Werke, die durch Nähe und Kommunikation, manchmal auch nonverbale Kommunikation entstehen. Ich beobachte nur. Diesmal bin ich ins Dickicht gegangen und habe eine Natur gesehen, die mich tief berührt. Adern und Venen – wie das Innere eines Menschen. Es scheint, als funktionieren wir alle gleich, als existiere eine physikalische Einheitsform. Im Detail können wir das Gesamte sehen und erkennen. Wir müssen endlich begreifen, dass wir ein Teil der Natur sind. Anstatt aus Angst, sollten wir aus Liebe, Leidenschaft und Fürsorge leben.
Sammy Hart ist Fotograf. Seine Bilder sind auf den ersten Blick anders, eigen in ihrer Farbgebung, kraftvoll in der Inszenierung. Ein sinnlicher Porträtist, was seine Modelle zu schätzen wissen. In seinem Atelier am Englischen Garten in München hat er unzähligen Persönlichkeiten ein Gesicht gegeben und Unbekannten eine Aura verliehen. Ein Intellektueller, ein Weltverbesserer mit Kamera, dem neben den Menschen die Natur ein Flucht und Rückzugsort ist. Die Krise geht, die Alpen stehen noch …Fotografie Sammy Hart
e m pa — t h i e
von Alicja Kwade
Die unausgesprochene Vereinbarung zwischen uns Menschen, immer wieder neue Realitäten zu schaffen und diese vollkommen zu akzeptieren, macht mich besorgt. Denn oftmals geht das damit einher, den Weg des kleinsten Widerstands zu wählen. Durch Massenführung und Fügung entstehen Gesellschaften, vermeintliche Wahrheit und das, was wir Realität nennen. Indem wir versäumen, die weniger fortschrittlich gesinnten Menschen zu integrieren, landen sie in einer Art Schweigespirale, haben keine öffentliche Stimme oder gar einen Zugang dazu, sich zu offenbaren. Das führt dann dazu, dass sich diese Menschen abwenden und schnell anderen folgen, die die Stimme für sie erheben – und dass nicht immer, sondern oft in nicht gutem Sinne. Das ist, wie wir wissen, gefährlich und kann zu einer Bewegung werden, die kaum noch aufzuhalten ist. Deswegen ärgert mich die teilweise verstärkte Selbstgefälligkeit, die momentan nach außen hin herrscht: Kaum einer schaut dahin, wo es wirklich dreckig wird, denn das würde bedeuten, Verantwortung zu übernehmen. In meinen Arbeiten versuche ich, den Menschen ohne große Emotion einzufangen, ihn mit gewisser Distanz zu betrachten. Es geht mir nicht darum, was richtig oder was falsch ist. Es ist weniger die einzelne Biografie, die mich interessiert, als vielmehr die Bewegungen und Einflüsse sichtbar zu machen, die uns Menschen zu speziellen Handlungen führen. Leichtgläubigkeit stört mich. Um uns herum existiert ein Konstrukt, mit dem wir uns irgendwann einmal einverstanden erklärt haben. Was uns fehlt, ist das Bewusstsein der Verletzlichkeit und das Infragestellen des Bestehenden.
Würde es darum gehen, sich einen Chip implantieren zu lassen, der zur Vereinfachung des Alltags und dem Wegfall lästiger Bürokratie führen würde, so sagt sie, wäre sie gerne die Erste. Mit Installationen, Skulpturen, Fotografien oder Videos stellt die Berliner Konzeptkünstlerin Alicja Kwade gesellschaftlich verankerte Kodierungen in Frage, reflektiert in den meist reduzierten Werken die Realität und den Wert von Dingen. Weltschmerz empfindet die gebürtige Polin in dieser Zeit nicht, dass sei zu bequem und aus unserer privilegierten Lage heraus unpassend.Fotografie Ausstellung Roman März (Courtesy der Künstlerin und König Galerie Berlin, London, Tokio) Porträt Luise Müller-HofstedeInstallation Roman März, Courtesy der Künstlerin und König Galerie Berlin, London, Tokio
z u — k u n f t
von Josef Geier alias DJ Hell
Meine Auftritte für 2020 sind alle abgesagt. Im Grunde bin ich als DJ arbeitslos. Was zu mehr Studioproduktionen führt – einem Artist Album, orientiert an den Ursprüngen elektronischer House Music aus den frühen 80er-Jahren. Auch das zweite neue Album mit Jonathan und Brigitte Meese steht kurz vor dem Abschluss. Ich mache es wie viele und arbeite noch mehr als vor der Pandemie – auch an Projekten, die aus Zeitmangel nie verwirklicht wurden, bewege mich verstärkt in Richtung Filmproduktion und Dokumentationen. Alle warten auf die Wiedereröffnung der Clubs. Erste Signale kommen aus der Schweiz und Kroatien – im Sommer wird es sicher kleinere Festivals im Freien geben. Es geht vor allem um die gemeinsame Erfahrung, das körperliche Erleben von Musik – als Emotionsverdichter kann ich das perfekt umsetzen und transportieren. Streamen ist keine Lösung und kein Ersatz für die weltweite Clubkultur. Zu ihrer Unterstützung, für die dazugehörigen Institutionen und Menschen, die im Nachtleben ihr Geld verdienen, ist diese Variante begrüßenswert. Zum Überleben wird sie vielen nicht reichen. Warum die aktuelle Politik die Kulturschaffenden nur zögerlich oder gar nicht unterstützt, ist beschämend bis demütigend – es fehlt das Verständnis und die Wertschätzung der elektronischen Musikkultur.
Aufgewachsen im Chiemgau, entdeckt in den Diskotheken Münchens, gefeiert in den besten Clubs der Welt: Für Helmut Josef Geier alias DJ Hell ist der Kontrast zwischen der ländlichen Heimat und den Tanzlokalen der Metropolen die beste Medizin. Seine Sets und die Produktionen seines Labels INTERNATIONAL DEE JAY Gigolo Records sind geprägt von der elektronischen Musik der 80er und 90er-Jahre, das Äußere verrät seine Affinität zu Mode. Sein Credo in diesen wie in vergangenen Zeiten: Ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, viel Sport, kein Alkohol, kein Doping, nicht rauchen und Musik als höhere Form der Kommunikation. Fotografie Julian Baumann
z w e i — f e l
von Ayzit Bostan
Es gibt sicherlich eine Menge Menschen, die weit weniger häufig zweifeln als ich. Aber ich finde es wichtig und obendrein sympathischer, Menschen zu kennen, die gut zweifeln können. Weil dadurch am Ende die besseren Ergebnisse herauskommen. Weil sie für ihre Sache brennen. Dieses Feuer kann man allerdings nicht immer haben, sonst brennt man aus. Bei manchen meiner Studenten merke ich, dass sie superkreativ sind und großes Potenzial haben. Aber Zweifel können lähmen und quälen. Das macht mich wahnsinnig. Ich möchte immerzu sagen: Hey, du kannst das doch! Wenn bei mir Zweifel aufkommen, liefern sie meistens gute Gründe, umzudenken und anschließend wieder weitermachen zu können. So richtig aufgegeben habe ich deshalb noch nie. Heute habe ich gelernt, dass ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen kann. Und dass es irgendwie zu unserer Arbeit dazugehört: Zweifeln und größenwahnsinnig sein, in stetiger Abwechslung.
Mode oder Kunst, Kunst oder Mode. Bei der türkisch-deutschen Designerin Ayzit Bostan sind die Grenzen fließend. Ihre raffiniert reduzierten Aufdrucke, Zeichen und Schriftzüge, die einfachen Schnitte, die Dominanz von Weiß, Schwarz und Grau – all das macht ihr Label so schlicht und konsequent. Ihr Atelier befindet sich im Bahnhofsviertel in München, wo sie in ihrer Mittagspause gerne bei einer benachbarten türkischen Bäckerei vorbeischaut – und sich seit Wochen über die lange Schlange bis zu den leckeren Gebäcken ärgert.Fotografie Fabian Frinzel
k r a — f t
von Daniel Müller-Schott
Noch nie gab es eine Situation, in der ich meinen Beruf nicht ausüben konnte, mein Leben, diese Leidenschaft, die ich seit meiner Kindheit praktiziere. Niemals hätte ich mir ein solches Ausmaß vorstellen können. Es fühlt sich an wie ein Tsunami, der sich langsam immer stärker aufbaut. Meine gesamte Kraft ziehe ich aus der Musik, aus meinen Konzerten, aus dem gemeinsamen Erleben mit dem Publikum. Während des Lockdowns war es, als hätte man mir die Luft zum Atmen und alle Energie genommen. Mein Leben stand still. Musik zu teilen ist für mich ein essenzielles Bedürfnis – sie kann einem gerade in schweren Zeiten unglaublich viel Hoffnung und Lebenskraft geben. Musik geht zu Herzen und erreicht unsere Seele. In den letzten Wochen wurde mir bewusst, wie notwendig es ist, dass Menschen zusammenkommen und im Konzertsaal gemeinsam diese Kraft spüren können. Vielleicht liegt das Geheimnis von Musik darin, dass sie keiner Sprache bedarf. Weil sie eine Schwingung, eine Energie aussendet, die uns alle tiefer berührt, als Worte es je könnten.
Das intensive Spiel auf einem Cello ist ein Kraftakt, der bis vor Kurzem dicht gewebte Konzertplan ebenfalls: Daniel Müller-Schott gehört zu den weltweit gefragtesten und besten Cellisten, seine kraftvollen Interpretationen werden seit 25 Jahren rund um die Welt gefeiert. Seine auf Reisen fest eingeplanten Museumsbesuche fehlen dem Liebhaber französischer Malerei des 19. Jahrhunderts; ebenso Auftritte wie der am Brandenburger Tor vor 500.000 Zuhörern – anlässlich der Feier der Deutschen Einheit 2018.Fotografie Uwe Arens
RH y t h — m u s
von Saskia Diez
Das Karussell dreht sich langsamer, die Pausen werden länger. Presto wird zu Adagio. Meine Welt vor der Zäsur war eine, in der am besten alles schon gestern hätte erledigt sein sollen. Jetzt komme ich selber wieder mehr zur Sprache, kann mir überlegen, welche Botschaft ich meiner Arbeit verleihe und in welchem Tempo die Dinge ihren Lauf nehmen. Ich werde nicht stumpf von den Wellen getragen, sondern nehme aktiv die Segel in die Hand. Ich war schon immer ein Freund des eigenen Willens, des Bei-sich-Seins. Wenn ich vor einer Aufgabe stehe, mache ich mich frei von der Erwartungshaltung anderer und gebe selbst die Richtung vor. Das Ergebnis mag vielleicht dasselbe sein, der Prozess aber wird ein anderer. Ich werde von der Ausgelieferten zur Gestalterin. Gerade jetzt, in einer sich langsamer drehenden Welt, wird das Schlagen der Wellen um mich herum leiser und ich finde wieder zurück zu meinen persönlichen Routinen. Zu dem, was mir viel bedeutet und wofür ich meine Energie gerne aufwende. Ich priorisiere anders. Auch das ist ein Prozess, den ich gerade erlebe. Bereichernd. Befreiend. Und in meinem ganz eigenen Rhythmus.
Schmuckdesignerin Saskia Diez entwirft filigrane und zeitlose Stücke für internationale Kunden. Sie lebt und arbeitet im Glockenbachviertel in München. Normalerweise verbringt sie viel Zeit auf Events und Reisen, jetzt ist sie vor allem eines: zuhause. Ihr Eindruck: dreimal mehr an Arbeit und Haushalt. Damit das Putzen nicht zur Sisyphusarbeit wird, hat sie beschlossen, daraus eine meditative Aufgabe zu machen. Dass ihr ein sauberer Tisch so viel Freude machen kann, hätte sie vorher nicht gedacht. Fotografie Julian Baumann
r ea l i — t ä t
von Dennis Busch
Es ist, als ob eine Tür aufgehen würde. Und wir Menschen sind endlich kurz davor, den Schritt durch diese Tür in einen neuen Seins-Zustand zu wagen. Uns wird bewusst, dass wir mit allem um uns herum, der Natur und den Mitmenschen, verbunden sind. Wir sind eine Gemeinschaft und können nur als solche überleben, nicht als Individuen. Dieses Bewusstsein schlummerte schon lange als Hoffnungsschimmer in uns. Nun sind wir bereit das Schimmern zu Licht werden zu lassen. In eine neue Realität reinzuwachsen. Dieses Licht ist auch in meinen Collagen zu entdecken. Ich arbeite viel mit Farben der psychedelischen Farbpalette. Ich setze Elemente zusammen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht zusammenpassen und erschaffe somit diese neue Realität. Währenddessen durchlaufe ich einen Prozess, so als würde ich Altes aufräumen, es zu etwas Neuem transformieren und dadurch eine andere Sprache entwickeln. Sie funktioniert zugleich als Brücke: Sie erleichtert den Übergang in eine neue Welt, da man durch sie für einen Augenblick auf die andere Seite der Türe sehen kann.
Dennis Busch ist Collagenkünstler und Herausgeber der Bücher „The Age of Collage“. Er lebt und arbeitet in Bremen. Seine Arbeiten entstehen alle von Hand – wie er sagt, entwickeln sie sich angetrieben von einem Gefühl im Prozess selbst. Und so entsteht auch manches Mal aus einem Aktfoto ein explodierendes Kirchenfenster. Illustration Dennis Busch
d i s — t a nz
von Matthias Ziegler
Seit 1991 war ich noch nie so lange am Stück in Deutschland. Es ist ein erzwungener Zustand, denn ich kann meinen Job nicht machen. Eigentlich wäre ich bis Ende Juli gebucht und unterwegs gewesen. Nun versuche ich das Ganze afrikanisch zu sehen und jeden Tag das Beste aus der Situation zu machen. Die letzten 20 Jahre bin ich durch Afrika gereist, der Kontinent geistert mir täglich im Kopf herum. Es gibt Orte, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob ich sie wiedersehen kann. In den Ländern, in denen ich unterwegs war, ist das Reisen gefährlich und die Selbstverständlichkeit von grundlegenden Dingen nicht gegeben. Sie erholen sich von 30-jährigen Bürgerkriegen oder Hungersnöten, dabei geht es jeden Tag ums Überleben. Ich habe gelernt, dass alles ganz anders laufen kann, als jemals gedacht. Nachts wache ich oft auf und überlege, wie es wohl wäre, wenn ich die Porträts und Reportagen im Ausland hätte machen können. Ich werde die Menschen vermissen. Es ist ein Geschenk, in zahlreiche Lebenswege eintauchen zu dürfen, die ganz anders sind als der eigene. Die eine Art zu Leben gibt es nicht, es gibt nur die Vielfalt.
Sich den Menschen annähern, Vertrauen schaffen, Ungesehenes entdecken, neugierig sein – der Fotograf Matthias Ziegler ist ein Seelenfänger, dessen sensible und stille Porträts ihre ganz eigenen Geschichten und Schicksale erzählen, publiziert in zahllosen Magazinen. Von München aus treiben ihn die Aufträge in die Welt, immer wieder auch nach Afrika, dem Kontinent seines Herzens. Was er sich wünscht? Dass die Menschen in dieser Zeit das Teilen lernen. Fotografie Matthias Ziegler
t e i l — h a b e
von Johann König
Zu Beginn der Krise war ich fasziniert, wie vereint die ganze Welt durch Einschränkungen und Lockdown war. Es verging eine Weile, bis ich auf die Kontraste aufmerksam wurde. Die unterschiedlichen Voraussetzungen, basierend auf der Herkunft des Einzelnen, haben mir meine Priviegien jedoch klar aufgezeigt. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass ich in Europa lebe. Darüberhinaus war es für mich verblüffend zu beobachten, wie schnell die technischen Möglichkeiten umgesetzt oder neu erlernt wurden, um in Verbindung zu bleiben. Einsam habe ich mich nie gefühlt. Das mag auch daran liegen, dass ich ständig von meiner Frau und meinen Kindern umgeben bin – für mich waren die vergangenen Monate eigentlich die angenehmsten überhaupt. Im Laufe der Zeit habe ich erkannt, dass es mein größtes Anliegen ist, Kunst für Menschen, die sonst keinen Zugang zu ihr finden, erlebbar und erfahrbar zu machen. Sie zu einem richtigen Erlebnis abseits des bloßen Sehens zu machen. Kunst ist für mich im weitesten Sinne eine Lebensbereicherung, die ich gerne mit anderen teilen möchte. Ich glaube, dass Kunst noch weit davon entfernt ist, in der Mitte unseres Lebens angekommen zu sein. Es bedarf noch sehr viel Arbeit, um den Menschen die Hürde – die Angst vor der Kunst – zu nehmen. Genau das habe ich mir zur Aufgabe gemacht.
Von Kindheitsbeinen an prägte ihn die Kunst. Tage, manchmal ganze Sommerferien, die wegen der Tätigkeit seines Vaters als Kurator und Museumsdirektor von Künstlern wie Andy Warhol, Rosemarie Trockel oder On Kawara begleitet wurden. Mit 11 Jahren dann der durch einen Unfall verursachte Verlust des Augenlichts. Operationen, Besserung, Gründung der König Galerie mit 20, immer noch fast blind. Von Anbeginn an einer der wichtigsten Kunsthändler Deutschlands, seit 2015 in den spektakulären Räumen der St. Agnes-Kirche in Berlin-Kreuzberg. Missionarisch, inzwischen besser sehend, öffnet Johann König die Kunst einer neuen Öffentlichkeit. Und verzichtet auf der anderen Seite weitblickend auf die Teilnahme an den Art Basel-Messen in Hongkong und Miami.Fotografie Alfred Steffen
g r e n — z e n
von Brigitte Kowanz
Kunst besitzt die Eigenschaft, Menschen selbstentgrenzen zu können. Ich arbeite mit drei Elementen: Spiegel, Licht und Sprache. Zusammengesetzt besitzen sie die Möglichkeit, ins Endlose potenziert zu werden. Die Spiegelungen verbindet den realen und den virtuellen Raum – wir leben in beiden gleichzeitig. Grenzen lösen sich auf. Licht verharrt nie, ist allen Ursprungs, kennt keinen Stillstand und ändert sich mit seiner Umgebung. Sprache in Form von Zeichen, Worten, Codes und Symbolen dienen auf der Ebene der Kommunikation. Sie können sowohl als gegenständlich oder abstrakt angesehen werden, als lesbar oder verschlüsselt. Kunst ist einfach in der Formulierung – und schwierig in der Aussage als Inhalt. Grenzüberschreitungen nützen als Antrieb, sie geben Raum für die Entwicklung von Neuem. Teilweise können meine Installationen irritieren, da sie durch die Verwendung von Schriften, Zeichen und Codes für einige Menschen nicht direkt entzifferbar sind. Sie bieten Herausforderungen und ermöglichen damit auch ein Verlassen von gewohnten Seh- und Rezeptionsmechanismen. An meine persönlichen Grenzen bin ich zuletzt nicht gestoßen. Da ich ohnehin die meiste Zeit im Studio verbringe, hat sich für mich nicht allzu viel verändert. Einige Reisen fielen aus, aber via Zoom konnte vieles erledigt werden. Die Kommunikation hat sich geändert. Diese Pandemie hat die Digitalisierung nochmals beschleunigt, grenzenlos ist das World Wide Web dennoch leider nicht. Aber die Grenzen verschwimmen zunehmend immer mehr: Transdisziplinäres, Unterscheidungen und Verflechtungen entwickeln sich schon länger, jetzt scheint das auch anzukommen.
Google – 15.09.1997, Wikipedia – 15.01.2001, iPhone – 09.01.2007 – geschichtsträchtige Daten die unser Leben von Grund auf verändert haben. Die Künstlerin und Poetin Brigitte Kowanz nutzt unteranderem diese technischen Errungenschaften, um sie als Morsecodes in ihren Arbeiten, wie beispielsweise in dem Fall für die Biennale in Venedig 2017, unterzubringen. Verschlüsselt – denn wirklich alles verstehen womit wir tagtäglich selbstverständlich umgehen, tuen wir nun denn doch nicht. Als zweite Frau erhielt sie nach Maria Lassnig den Großen Österreichischen Staatspreis für Bildende Kunst. Die 1957 in Wien geborene Künstlerin ist ihrer Heimatstadt Wien stets treu geblieben: 1980 beendet sie ihr Studium dort, seit 1997 lehrt sie selbst an der Universität für angewandte Kunst Wien und auch ihr Studio befindet sich in der Österreichischen Hauptstadt. Porträt Mato JohannikKunstwerk Beyond Sensation, 2018, Neon and mirrorCourtesy of Max Goelitz, Copyright the artist, Fotografie: Dirk Tacke
d un k e l — h e i t
von Ralph Mecke
Dunkelheit ist für mich nicht gleich negativ behaftet: Sie verspricht Tiefe und Anregung. Wir wollen unter ihre Oberfläche blicken und uns Gedanken machen über das, was wir sehen. Meine eigenen Projekte empfinde ich auch nicht als dunkel – sie sind einfach die Arbeit, die gemacht werden muss, um unsere Gegenwart zu dokumentieren oder Veränderung anzustoßen. Schönheit ist das, was mich berührt. In meinen Augen kann sie sogar provozieren: Schönheit in der Dunkelheit zu finden bedeutet, ernste Themen ästhetisch zu inszenieren, während wir es eigentlich gewohnt sind, dass etwas negativ dargestellt ist. Vielleicht zwingt sie uns auf diese Weise sogar zu mehr Aufmerksamkeit. Den Betrachter zum Nachdenken bringen – das muss ich mit meinen Bildern schaffen. Gerade sind wir so lange von Dunkelheit umgeben, dass ich den Eindruck habe, die Menschen reagieren fast nur noch, wenn sie wieder Schönes sehen.
Vom Porträt zur Mode: Der aus Berlin stammende und in New York lebende Fotograf Ralph Mecke hat sich mit seinen außergewöhnlichen Porträts einen Namen gemacht, bevor er die Inszenierung von Mode für sich entdeckte. Seine stilistische Vielfalt, sein Gespür für Locations und seine akribische Ausstattung lassen ikonografische Bilder entstehen, mysteriöse, emotionale Momente, Zeichen einer ungewissen Zeit.Fotografie Ralph Mecke
m u — t
von Nobieh Talaei
Es hat einige Jahre gedauert, in denen ich wertvolle Erfahrungen gesammelt habe, bis aus meinem Traum, mich mit der eigenen Mode selbständig zu machen, Realität werden konnte. Direkt in den Anfängen von Nobi Talai neben Berlin auch in Paris zu präsentieren, war eine große Herausforderung und gleichzeitig ein wichtiger Schritt für mich. Ein Label erfolgreich zu führen bringt viel mehr mit sich als nur die schöne Welt des Scheins, die meist mit Mode in Verbindung gebracht wird. Der Versuch, das Kreative mit dem Wirtschaftlichen zu verbinden, ist nur ein Thema von vielen, die mich täglich beschäftigen. Druck von außen lasse ich, soweit es geht, nicht zu. Mein Fokus gilt meinem Label und den damit einhergehenden Entscheidungen und Zielen. Zwar herrschte in den letzten Monaten coronabedingt Stillstand in einigen Bereichen des Unternehmens, dafür gab es aber auch mehr Ruhe und Raum für weitergehende Gedanken: In welche Richtung entwickelt sich die Modewelt? Welche neuen Wege und Möglichkeiten bieten sich durch die veränderte Situation? Eine von Kreativität begleitete Zeit! Meine Vision für die Mode? Reduktion, Fokussierung auf Langlebigkeit, mehr Bewusstsein für Qualität und Nachhaltigkeit.
Nobieh Talaei, in Teheran geboren, mit 11 Jahren nach Berlin gezogen, ist eines der wichtigsten deutschen Designtalente. Ihr Label Nobi Talai bewegt sich zwischen minimalistischen Linien und innovativen Details, zwischen Reminiszenzen an ihre Heimat mit deren Handwerk und ihrer ganz persönlichen Geschichte als Nomadin. Und das mit Anspruch an Modernität, Funktionalität und Weiblichkeit. Talaei hegt eine Faszination für Textilien aller Art und beschäftigt sich abseits der Mode viel mit Interieur. Ihr neuestes Projekt: der Aufbau des Online-Shops von Nobi Talai. Fotografie Sonja Stadelmaier
l i e — b e
von Jörg Koopmann
Fernbeziehung, Patchwork-Situation und miteinander arbeiten: Man könnte sagen, dass Lene und ich im Laufe der Jahre wirklich alle Hürden in die Grundstruktur unserer Beziehung eingebaut haben. Dafür halten wir es aber schon lange sehr gut miteinander aus. Wir führen seit zehn Jahren dieses Leben, sechs davon waren von meiner Arbeit als Kurator der Kunsthalle Lothringer13 geprägt, was München zu unserem Hauptaktionsort machte. Die letzte Ausstellung dort im Dezember 2019 haben Lene und ich erneut zusammen realisiert. Dass wir zunehmend mehr Arbeiten gemeinsam umsetzen, hat die Trennlinien zwischen unseren beiden Städten, zwischen Beruf und Privatem weiter aufgelöst. Durch ihre Töchter hat meine Lebensgefährtin einen recht festen Terminplan – daraus entsteht der Rhythmus, wann wir uns wo aufhalten oder eben jonglieren müssen. Wenn man gleichzeitig in zwei so teuren Städten wie Kopenhagen und München lebt, stellt einen das im Zweifelsfall auch vor finanzielle Herausforderungen. Mein berufliches Wirken nach Kopenhagen zu verlegen, wäre nach dem Abschied von der Lothringer Anfang des Jahres sicher die logische Schlussfolgerung, ist aber in der Realität alles andere als einfach. Corona kam, als wir beide freiberuflich etwas in der Luft hingen, denkbar unpassend: Kein festes Gehalt, keine Verträge und du weißt gerade noch nicht mal, wo du hingehen sollst. In derselben Nacht, als die Grenzen zu Dänemark schlossen, sind wir nach Kopenhagen und haben dort die folgenden vier Wochen auf eher kleinem Raum verbracht. Das war eine intensive Erfahrung, die uns noch sensibler gemacht hat für die Bedürfnisse des anderen, speziell, was Freiräume betrifft. Zu wissen, was uns guttut, ein tiefes Verständnis für den anderen und die große emotionale Nähe zueinander – daraus kann eine Energie entstehen, die über viele Hürden und Krisen hinweghilft. Klappt aber auch nicht immer und die Befindlichkeiten sind sehr dynamisch. Vielleicht sind wir auf gewisse Weise auch beide stur genug, dass es uns das alles wert ist? Oft machen wir es uns selbst schwer, aber das geduldig erarbeitete Glück rettet uns auch immer wieder den Arsch.
Der Münchener Fotograf, Kurator und Freigeist Jörg Koopmann ist einerseits ein leiser, überlegter, kluger Analyst und Redner, andererseits ein agiler, überzeugter, weit vernetzter Antreiber der lokalen Foto- und Kunstszene. Er fungierte als wichtiger Teil des international beachteten Festivals FotoDoks und leitete bis Anfang des Jahres 2020 die städtische Ausstellungshalle Lothringer13. Die innere Ruhe des markanten Bartträgers ist auch in seinen eigenen Fotoprojekten spürbar – sie sind beobachtend, zurückhaltend, realitätsverliebt.Fotografie Jörg Koopmann
g e — d u l d
von Sebastian Krüger
Ich bin darüber im Klaren, dass ich ein ungeduldiger Mensch bin, ich arbeite daran. In der Kunst bedeutet das wiederum einen Vorteil: Wenn ich einen Geistesblitz habe, muss ich ihn sofort in die Tat umsetzen. Ungeduld ist mit dem inneren Feuer gleichzusetzen: Es brennt und frisst sich durch alles hindurch, hat auch keine Geduld. Meine gemalten Porträts werden immer mehr zu einer Art Selbstbildnis. Zum aktuellen inneren Zustand. Als bildender Künstler ist man fast schon verflichtet, hin und wieder an gesellschaftlichen Tabus zu kratzen. Immer mit einem Augenzwinkern. Das finde ich großartig. Im Alltag muss ich dann doch versuchen, Geduld zu haben. Vieles muss man seinen Mitmenschen mehrmals erklären. Meine Mutter sagte vor kurzem: „Jetzt geht die Welt doch unter.“ Aber eigentlich geht sie ständig unter, die Leute sagen das jeden Tag. Wir Freischaffende sind Krisen gewohnt: Auftragsflaute, Schaffenskrisen, Zukunftsangst. Alles schlägt sich auf die künstlerische Arbeit nieder. Diese neue und andere Art der Krise ist etwas, das wir künstlerisch verarbeiten müssen. Menschen haben mir noch nie gut gefallen, sie machen mir eher Angst. Ich kann mich ihnen aber auch nicht verschließen. Wir sind aufeinander angewiesen, alleine kommen wir nicht klar. Auch daran sollte man arbeiten. Zur Geduld sollte immer Respekt gehören. Als Künstler ungeduldig, als Lebemensch geduldig sein – das ist ein guter Vorsatz.
Studium der freien Malerei, Popularität als Star-Karikaturist, Rückkehr zum New Pop Realism: Der in Hannover und Kalifornien lebende Künstler ist leidenschaftlicher Fan der Rock- & Pop-Kultur der 60er und 70er-Jahre, deren Protagonisten er auf großen Formaten porträtiert. Detailgenaue Verneigungen vor den großen Figuren der Musikgeschichte. Viele von ihnen, wie die Rolling Stones, inzwischen eng befreundet mit Sebastian Krüger. Keith Richards gehört zu seinen Lieblingsmodellen: „Ein Jahrhundertgesicht, eine Mega-Persönlichkeit“. Krügers Playlist beim Arbeiten: Nine Inch Nails, Robert Johnson, Keith Jarrett (Köln Concert), Faces, David Bowie, Sex Pistols.Malerei Sebastian Krüger
o p t i — m i s m u s
von Rianna Kounou und Nina Knaudt
Mehr Wertschätzung, mehr Respekt – dann kann ein positiver Wandel geschehen. Sicherlich werden nicht alle Menschen aufgrund eines einschneidenden Ereignisses ihr eigenes Handeln überdenken, aber wir für unseren Teil versuchen, für die Branche mutige Vorbilder zu sein. Mode soll langlebig, nachhaltig und respektvoll sein und gleichzeitig Freude bereiten. Die ständige Suche nach dem Neuen, ohne dabei auf die eigene Umwelt, das Wie und Woher, zu achten, ermüdet immer mehr Menschen – weshalb wir das Glück haben, dass unsere Alternative gerne angenommen wird. In unserer momentanen Situation ist die eigene Haltung zum Leben entscheidend. Natürlich ist es traurig, für einige Monate nicht mehr wie gewohnt mit unserem Team im Atelier arbeiten zu können. Was zählt ist aber, dass wir es geschafft haben, auf digitaler Ebene den Austausch am Leben zu erhalten. Positiv zu bleiben. Zu lernen. Neue Inspirationsquellen wertzuschätzen. Auch die eigene Familie hat davon profitiert. Wer optimistisch eingestellt ist, dem bleibt auch die Leichtigkeit im Leben erhalten.
Rianna Kounou ist Inhaberin eines Vintage-Shops in Berlin, Nina Knaudt leitete die Marketingabteilung der Galeries Lafayette. Als sich die beiden Frohnaturen in ihren bunten Outfits kennenlernten, wussten sie, dass sie gemeinsam Großartiges schaffen können. Heute ist RIANNA + NINA eine international erfolgreiche Luxusmarke, hängt bei Bergdorf Goodman in New York oder im KaDeWe in Berlin. Das Berliner Designer-Duo mischt Couture-Stoffe aus den 70ern mit Gobelin-Stoff aus den 30ern. Wieder gemischt mit Seidentüchern. Neben ihrer Leidenschaft für Vintage und Reisen verbindet die beiden vor allem eines: ihr herzhaftes Lachen. Fotografie Julia Zierer
a b — s c h i e d
von Friedrich Kautz alias Prinz Pi
Loslassen können muss man lernen, sowohl von Freunden, Partnern als auch ein Stück weit von den eigenen Kindern, je größer sie werden. Wir scheuen uns davor Beziehungen zu beenden, selbst toxische. Weil es lange soziokulturell bestraft wurde. Wenn jemand eine schlechte Partnerschaft mit emotionaler und auch körperlicher Gewalt ertrug, dann war er ein guter Partner. Wenn er sich daraus gelöst hat, ein schlechter. Eine solche Gesellschaft befördert das persönliche Unglück – und wenn viele einzelne unglücklich sind, dann ist es auch die Gesellschaft als Ganzes. Das kann kein akzeptabler Zustand sein. Manche Abschiede sind notwendig. Es gibt immer Menschen, die ein Stück Weg mit einem gehen und dann aus den verschiedensten Gründen eine andere Richtung nehmen. Das gehört zum Leben. Ich bevorzuge – wie vielleicht die meisten von uns – das Konstante eher als den Wechsel. Ich wohne seit meiner Geburt im Westteil von Berlin, seit einiger Zeit sogar wieder in Grunewald, nicht weit von dort bin ich großgeworden. Meinen Trauzeugen kenne ich seit der ersten Klasse und ich habe viele meiner Freunde schon sehr lange, ich mag das. Ich denke, wir halten gerne an Menschen fest, weil es uns Energie gekostet hat, die Freundschaft oder Beziehung bis zu diesem Punkt zu bringen. Aus Angst, dass unser emotionales, zeitliches und auch materielles Investment umsonst gewesen ist. Freundschaften sind nicht wie Besitz zu sehen, sie sind eher eine Form des Leasings: Wenn man aufhört, den monatlichen Betrag zu zahlen, endet der Vertrag. Die letzten Monate habe ich mehr Zeit als gewöhnlich zu Hause mit meiner schwangeren Frau und meinem Sohn verbracht. Ich habe dieses Jahr kaum Geld verdient. Die Aussicht ist ungewiss, wann und ob überhaupt wieder so etwas wie eine Tour stattfinden kann. Als Familienvater, der alle durchfüttert, verursacht mir das psychischen Stress, Horrorszenarien tun sich auf. Wie wird es weitergehen? Gerade jetzt, mit einem dritten Kind auf dem Weg. Wie die meisten Menschen musste ich mich von einem rückblickend betrachtet unbeschwerteren Leben verabschieden. Aber auch der Abschied hat zwei Seiten. Er bedeutet gleichzeitig immer auch Neuanfang. Und es fällt sicherlich leichter, etwas Neues anzufangen – das ist eigentlich ganz einfach.
„Ich fühle mich immer befreit und gut. Ich habe gesunde Kinder, die für mich denkbar beste Frau, viele spannende Jobs und schon ein paar Sachen geschaffen, mit denen ich zufrieden bin. Wenn mir morgen ein Klavier auf den Kopf fällt, wäre das schade für meine Familie, aber ich hab ein sehr erfülltes, reiches und wahnsinnig besonderes Leben gehabt bis hier.“ Friedrich Kautz, besser bekannt unter den beiden Rapper-Pseudonymen Prinz Pi und Prinz Porno. Elementare, kritische und tiefgründige Texte. Themen wie Depressionen, Ängste und Einsamkeit, die Straßen Berlins, Politik und Drogen. In der Szene gefeiert als Universalgenie. Wegen seiner Musik, als Herausgeber eines Kinderbuchs, für die eigene Modemarke (Keine Liebe Berlin), als Autor einer Fernsehserie und eines Romans. Sein Rat an die eigenen Kinder: „Seht dieses Leben als einen Garten, den ihr für eure Lebenszeit zur Verfügung gestellt bekommt. Ihr könnt den Garten besser oder schlechter hinterlassen, wenn ihr auszieht.“Fotografie Franz Becker
e x p e r i — m e n t
von Erwin Wurm
Als Künstler experimentiert man mit dem eigenen Leben. Auch meine Arbeit ist immer ein Experiment, denn man weiß anfangs nicht, ob ein Werk tatsächlich gut wird. Eine Idee reicht in einer Karriere nicht aus. Man braucht immer wieder neue Ideen, muss die Arbeit weiterentwickeln, auf Neuland stoßen, um nicht stehen zu bleiben. Es ist ein Dauerexperiment. Ich hinterfrage die Normalität und versuche die Dinge in absurde Perspektiven zu bringen. Manchmal werden meine Arbeiten von der Realität eingeholt. Bei der Biennale 2017 habe ich einen Lastkraftwagen auf den Kopf gestellt und kurz davor ist ein Terrorist mit einem in eine Menschenmenge gefahren. Das hat wehgetan. Grundsätzlich arbeite ich nicht an etwas, das die aktuelle Situation abbildet. Darauf habe ich keine Lust. Den Corona bedingten Lockdown habe ich persönlich sehr genossen, da ich mich von meinem sonst sehr hektischen Alltag isolieren konnte und ich meine Zeit in Ruhe verbringen konnte. Ich fühle mich jedoch in meinen Gedanken bestätigt, dass wir bis jetzt falsch gelebt haben: Indem wir uns in unserer Gesellschaft so stark auf das Wirtschaftswachstum konzentrieren, sind wir dabei unseren Planeten zu zerstören. Eine perverse Sicht des Lebens! Aber leider wird es weiterhin so sein, denn Menschen vergessen, dass sie sich an Spielregeln halten müssen. Jeder einzelne denkt, er sei Mittelpunkt des Universums.
Aus dem Lot bringen, der Realität entziehen, in Momente gießen – das Werk des österreichischen Künstlers Erwin Wurm gibt Dingen und Menschen eine neue Form, einen neuen Sinn. Sein subjektiver Blick auf banale Situationen erzählt viel über das Normale, das Andere, verschiebt Grenzen, irritiert. Seine Skulpturen, unter anderem mit Bleistiften, Eimern, Orangen, Gurken oder Bällen, sind zauberhafte kleine Fluchten aus einer zweckorientierten Welt.Fotografie Eva Würdiger, Erwin Wurm
d e — m u t
von Peter Seewald
Es gibt eine Art Heimsuchung, wie wir sie immer wieder in Form von Krankheiten, Kriegen oder verheerenden Umweltkatastrophen erleben – traumatische Ereignisse, die uns zum Nachdenken bewegen und die uns Mahnung sind. Man muss nicht gläubig sein, um demütig vor dem eigenen Schicksal und seinen Herausforderungen zu sein. Allerdings sollten wir uns fragen: Ist der Weg, den wir bislang gesellschaftlich oder privat beschritten haben und der über Entscheidungen dominiert, richtig – oder muss man ihn korrigieren? Die Krise ist ein Augenblick der Aufforderung, über Rituale und Gewöhnung nachzudenken. Wenn es plötzlich keine Gottesdienste, Beichten und Eucharistien mehr gibt – fehlt mir das? Was bedeutet es für mein christliches Bewusstsein? Demut kann aktiv ebenso wie passiv geschehen: Wenn ich mich zurückziehe und meditiere, mag das mitunter aktiver sein als mit dem Elektrofahrrad hundert Kilometer zurückzulegen, ohne einem einzigen Gedanken nachgegangen zu sein. Unter passiver Demut verstehe ich die Grundhaltung jedes Menschen zu seiner Umwelt und zur Gesamtheit der Schöpfung – zu dem, was wir Gott nennen. Wir sollten uns persönlich mehr zurücknehmen und innehalten. Reflektieren, dass unsere Zeit auf dieser Welt sehr begrenzt ist. In ihr sollten wir vor allem auch die Möglichkeiten nutzen, unseren Frieden und das Glück in den einfachen Dingen wiederfinden.
Ein Lebenswerk rund um Benedikt XVI: Der niederbayerische Ministrant, dann Marxist, später Journalist und Autor Peter Seewald schrieb 1992 sein erstes Porträt über den damaligen Kardinal Joseph Ratzinger – und verfasste von da an unzählige Bücher mit ihm und über ihn. Die soeben erschienene Biographie des emeritierten Papstes ist eine 1.200-seitige respektvolle Auseinandersetzung mit dieser besonderen Figur der neuzeitlichen Kirchengeschichte. Der in Worte gefasste Abschluss einer außergewöhnlichen Beziehung.Fotografie Myrzik & Jarisch
w e i s — h e i t
von Herlinde Koelbl
Ich habe das Gefühl, dass die Menschen zu wenig wahrnehmen – dass sie nicht alles sehen, was zu sehen wäre. Dabei sind es unsere Erfahrungen, die dafür sorgen, dass wir uns entwickeln können. Bis heute habe ich so viele Menschen fotografiert und interviewt, verschiedensten Alters, aus vielen Kulturen und Gesellschaftsschichten. Aus allen Begegnungen konnte ich etwas mitnehmen, selbst wenn die ein oder andere vielleicht negativ gewesen sein mag. Zuletzt traf ich zum Beispiel Wissenschaftler aus aller Welt – bei jedem Thema, das ich mir vornehme, lerne ich von meinen Gesprächspartnern wieder etwas Spezielles und Grundsätzliches. Bis heute prägend waren die Begegnungen mit jüdischen Persönlichkeiten, die während des Holocaust noch rechtzeitig aus dem deutschsprachigen Raum entkommen konnten. Für mein Buch habe ich sie fotografiert und interviewt. Obwohl sie teilweise ihre ganze Familie verloren hatten, fliehen mussten und dramatische Lebenserfahrungen gemacht hatten, hassten sie nicht. Viele waren humorvoll und bescheiden. Damals habe ich zum ersten Mal gedacht, diese Menschen könnten Vorbilder sein. Eine Frau, die Auschwitz überlebt hatte, sagte mir, sie habe mit der Wiedergutmachungsentschädigung sofort eine Therapie gemacht, um nicht zu hassen, denn Hass sei der Bumerang, der das eigene Leben zerstört. Eine Weisheit, die mich bis heute begleitet. Ich hatte viele solcher tiefen Begegnungen – das ist die Universität des Lebens, an der ich studieren konnte. Ein ungeheurer Reichtum und eine Bandbreite des Wissens, die man an einer normalen Universität gar nicht erfahren könnte.
Es ist der Mensch, der im Mittelpunkt der Arbeiten von Herlinde Koelbl steht. Unzählige hat die Münchnerin für ihre Bücher fotografiert – teils auch interviewt und gefilmt, eine Besonderheit ihres Werks. Sie dringt in die Persönlichkeiten von Politikern, feinen Leuten, Frauen, Spießbürgern, Holocaust-Überlebenden ein, will sie begreifen, nie entblößen. Die ruhelose Lebenskundlerin ist eine Ausnahmeerscheinung und eine der bedeutendsten Fotografinnen Deutschlands.Fotografie Johannes Rodach, Herlinde Koelbl
t a n — z e n
von Steffen Berkhahn
Kurz vor dem Lockdown war ich im Berghain das letzte Mal tanzen. Ich tanze fast niemals allein. Viel lieber mit Menschen um mich herum. Gerne mit Menschen, die ich kenne und mag, aber am Ende ist es auch unter Wildfremden ein nicht zu vergleichendes Erlebnis, wenn Musik alle auf einer gemeinsamen Welle trägt. In einer Welt, in der wir selten lange auf etwas fokussiert sein können und unsere Aufmerksamkeitsspanne permanent geringer wird, muss es das Ziel eines DJs oder einer Clubnacht sein, die Tänzer in einem ewig währenden Moment zu fangen. Das Hier und Jetzt so spürbar zu machen, dass man alles drum herum vergessen kann. Wenn der Alltag das Ying ist, ist der Tanz das Yang. Ich muss mich nicht immer bewegen, um einen Song zu spüren, aber ich brauche ab einem gewissen Punkt ein Soundsystem, das mich gewisse Elemente daraus spüren lässt. Meine Auftritte im Club vermisse ich ungemein. Der Dancefloor ist heute, Stand Mitte Juli, noch nicht wieder „aktiv“. Clubmusik also noch immer nicht erfahrbar. Trotzdem gibt es einige Songs, die neu rauskamen oder die ich erst jetzt entdecken konnte, die mich in dieser Zeit besonders berührt haben, wie „Below the Clavicle“ von Eartheater und das Instrumental von „Endlich Autonom“ von Deichkind. „Ich kann nicht tanzen“ ist eine Aussage, die ich nicht nachvollziehen kann – man tanzt für sich selbst und nicht für jemand anderen. Jeder, der dabei etwas fühlt, kann tanzen.
Seit Beginn der 90er Jahre legt Steffen Berkhahn in den bekanntesten Clubs der Welt auf. Unter seinem Synonym Dixon. Früh begann er auch mit dem Produzieren von Musik, gekrönt von dem 2005 gegründeten Label Innervisions, einem der wichtigsten in der elektronischen Musik. Und dann war da die Club-Mode, genderless, aufregend, farbig, faszinierend – für den international erfolgreichen DJ und Multitalent eine zweite Leidenschaft, die er mit einer eigenen Marke verfolgt: TWDA – Together We Dance Alone.Fotografie Davit Giorgadze
m u — s i k
von Peter Simonischek
Als ich die Rolling Stones im September 1973 in Bern live gesehen habe, hat das mein Leben verändert: Ich habe verstanden, wie sehr man aus sich herausgehen kann und am selben Tag am Theater gekündigt – es kam mir zu langweilig vor. Schon als Junge habe ich in einer Band gespielt: Gesang und Schlagzeug. Und eigentlich habe ich dann auch immer mit Musik gearbeitet, in den drei klassischen Sparten Oper, Musical und Schauspiel. Die Dreharbeiten für den Film „Crescendo“ über ein gemeinsames Konzert von israelischen und palestinensischen Jugendlichen habe ich in wunderbarer Erinnerung – wir haben alle zusammen gesungen und musiziert, ein großartiges Miteinander! Auch meine Sicht auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat sich geändert: Die Jugend will einfach Frieden haben. Musik kann Zusammenhalt herstellen, mindestens so wie der Sport. Sie ist etwas Herrliches, das Menschen zusammenbringt. Es gibt ja sogar Länder, die berüchtigt für ihre Musikalität sind, Georgien zum Beispiel. Oder die Balkonpartys in Italien: Verbundenheit entsteht durch die Kraft der Musik. Außer, wenn jemand das Fenster zuschmeißt.
Die Ausbildung zum Zahntechniker brach er ab, sein Architekturstudium ebenfalls. Gut so. Es folgte die Akademie der darstellenden Künste, die den Grazer Peter Simonischek auf die Bühne und vor die Kamera brachte. Und zu einem der größten deutschsprachigen Schauspieler machte. 20 Jahre Berliner Schaubühne, seit 1999 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters, „Jedermann“ in Salzburg, acht Jahre lang. Den größten Erfolg bereitete ihm ein schiefes Gebiss – in seiner vielprämierten Hauptrolle in „Toni Erdmann“. Fotografie Xenia Hausner
f r e u n d — s c h a f t
von Nada Lottermann und Vanessa Fuentes
Wir reden oft darüber, was wir tun werden, wenn wir beide mal Achtzig sind. Ob wir dann zusammen im Park sitzen und über frühere Zeiten philosophieren? Unsere aktuelle Lebensphase würden wir als mittendrin beschreiben – in der Familie ebenso wie im Job: Wir sind beide Mütter und auch wenn mal kein Shooting geplant war, haben wir uns bisher täglich im Büro getroffen. In den letzten Wochen tat es uns daher mal ganz gut, nicht zu arbeiten und die Zeit stattdessen mit unseren eigenen Familien zu verbringen. Wir können einander gut in Ruhe lassen, es braucht nicht ständig den persönlichen Kontakt. In einer wahren Freundschaft geht es vielmehr darum, einander blind zu vertrauen. Das ist nichts, worüber wir groß nachdenken, aber es gibt uns ein Gefühl der Selbstverständlichkeit. Eigentlich wären wir beiden die perfekten Ehepartner. Gerade, weil das Sexuelle fehlt, was eine Beziehung auch mal schwierig machen kann. In unserer Freundschaft sind wir toleranter als in unseren Partnerschaften. Doch während jede von uns privat für ihr Leben und ihr Glück selbst verantwortlich ist, verkörpern wir am Set ein starkes „Wir“. Man muss schon Berge versetzen, um uns in einer Sache vom Gegenteil zu überzeugen. Andererseits begegnen wir als Duo Kritik gegenüber auch entspannter.
Nada Lottermann und Vanessa Fuentes kennen sich schon seit der Schulzeit und haben sich seither als Double-Trouble-Fotografinnen aus Frankfurt einen Namen gemacht. Exzentrisch, provokativ, plakativ — so ist ihr Stil und so wirkt ihre Erscheinung. Vor ihre Kamera kommen Künstler, Schauspieler und Musiker, nicht selten tauchen sie selbst als Protagonisten in ihren Bildern auf. Ein unbeschwertes Spiel mit Rollen, das jedes Shooting anders, vertraut und freundschaftlich erscheinen lässt.Fotografie Lottermann Fuentes
i n t i — m i t ä t
von Reiner Holzemer
Auf die Intimität bezogen befinden wir uns gerade in einer Mangelsituation, in einer Phase der Abstinenz. Wir dürfen uns auf keinen Fall zu nahe kommen, uns gegenseitig nicht berühren und niemandem die Hand geben. All diese kleinen Gesten fallen weg. Natürlich haben wir in den letzten Monaten gelernt, damit umzugehen, aber ich glaube, dass dadurch gleichzeitig ein noch stärkeres Bedürfnis nach sozialer Nähe in uns geweckt wurde. Wir erfahren gerade, dass körperliche Nähe ein wesentlicher Teil unseres Menschseins ist, dass ein Kuss auf die Wange mehr ist als nur ein banales Begrüßungsritual. Intimität kann aber auch anders hervorgerufen werden. In unserem neuen Film über Martin Margiela haben wir versucht, neue Wege zu gehen. Martin ist ein sehr scheuer Mensch, der die Öffentlichkeit meidet. Deshalb wollte er nur unter der Bedingung, anonym zu bleiben, gefilmt werden. Uns stellte sich deshalb die Frage, ob Intimität auch dann entstehen kann, wenn einem der Blick ins Gesicht, in die Augen eines Protagonisten verwehrt bleibt. In unserem Film sieht man nur seine Hände, deren feingliedrige Bewegungen viel über den Menschen verraten. Und wenn er von seiner Kindheit erzählt, hört man aus der Stimmlage seine verletzliche und sensible Seite heraus, genauso wie die Freude, die er für vieles empfunden hat. Am Ende kommt man ihm auf diese Weise sogar näher als über den Blick in sein Gesicht. Im Film erreicht man diese Intimität nur durch gegenseitiges Vertrauen, Offenheit und Respekt. So wie du in den Wald hineinrufst, so schallt es auch zurück.
Seit 1983 gewährt Reiner Holzemer mit seinen Dokumentarfilmen private Einblicke in das Leben von berühmten Fotografen wie August Sander und Juergen Teller und Designern wie Dries Van Noten und zuletzt Martin Margiela. Weltweit wurden seine Filme schon auf diversen Filmfestspielen gezeigt. 2020 kürte der HOLLYWOOD REPORTER seinen Film MARTIN MARGIELA: IN HIS OWN WORDS zum besten Modedokumentarfilm des Jahrzehnts. Momentan arbeitet Reiner Holzemer an neuen Ideen für aufkommende Projekte und genießt zugleich die Vorteile des ungewohnt ruhigen Alltags.Fotografie Fritz Beck
z u ve r— s ic h t
von Julia Windischbauer
Ich sei ein empathischer Mensch, hat man mir von klein auf gesagt. Als ich älter wurde, habe ich gemerkt: So empathisch bin ich eigentlich gar nicht. Ich bin stark auf mich fokussiert – was auch wichtig ist für meinen Beruf. Natürlich bekomme ich durch meine Rollen Impulse, mich mit vielen Themen genau auseinanderzusetzen und ich genieße es, im Probenprozess in sie einzutauchen. Mein Leben? Ist ganz klar eine Komödie, keine Tragödie. Ginge uns der Humor verloren, wäre sowieso alles vorbei. Auf der Bühne wie im Alltag muss ein Drama nicht gleich etwas Verheerendes sein, es kann uns auch einfach Veränderung bringen. Oder helfen, Lösungen für Probleme zu finden. Alle kleineren und größeren Schicksalsschläge sollte man annehmen und sich sagen: Ja, ich darf mich schlecht fühlen und die Welt hassen. Aber am Ende des Tages – oder nach zwei Wochen oder Monaten, wenn man das Geschehene langsam verarbeitet hat – möchte ich mich wiederaufrichten können und denken: „Come on, it’s life – everybody’s doing it.“
Die 1996 in Linz geborene Schauspielerin Julia Windischbauer begann ihre Bühnenlaufbahn mit zwölf: Hauptrolle im „Froschkönig“. Aktuell ist das Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele in „Wunde R“ zu sehen – unter eingeschränkten Bedingungen. Die „Bitch Bibel“ von Katja Krasavice half ihr, während der Proben in unterschiedlichste Bereiche des Feminismus einzutauchen. Und ihre Liebe zur Komödie hilft ihr, positiv und lachend so intensiv zu leben, wie es nur geht. Fotografie Julian Baumann
w i e d e r — h o l u n g
von Jürgen Klauke
Tod, Liebe, Sexualität, Gewalt, Sehnsucht – diese und viele weitere Themen sind Konstanten unseres Daseins. Unsere Existenz wird immerzu mit ihren Wiederholungen konfrontiert. Diese Wiederkehr des Immergleichen ist der Sound meiner gesamten künstlerischen Arbeit: Ich suche in Experiment und Spiel lustvoll und bisweilen auch mühevoll nach neuen Bildmotiven, die sich mit dieser Wiederkehr und mit den geringen Abweichungen derselben auseinandersetzen. „Ästhetisierung des Existenziellen“ nenne ich meine Untersuchungen. Gerade bergen die spürbare Abwesenheit von Menschen sowie die andauernde Drohgebärde der unsichtbaren Gefahr eine fragile Beunruhigung und eine andere bisweilen diffuse Zeitwahrnehmung. Das „Allzeit überall und vielleicht auch oft nirgends“ weicht vorübergehend einer zwangsläufigen Verlangsamung. Oder erlaubt einer kleinen Gruppe die Wahrnehmung luxuriöser Langeweile, die wiederum inspirierend sein kann. Ebenfalls besorgniserregend zeigen sich der zunehmende Rechtsdruck und sein brandstiftendes Führungspersonal in vielen Teilen der Welt – auch eine Anbahnung unheilvoller Wiederholung. Mein Erinnerungsspeicher ist angefüllt mit Geschichten und Erinnerungsfetzen. Dieses unsichtbare Reservoir ist wichtiger Bestandteil meines künstlerischen Denkens. Aus dem Vergangenen speist sich die Lebenserfahrung, mein Erfahrungshorizont. In der Kunst blicken wir auf großartige Hervorbringungen zurück. Es ist gut, sich darüber im Klaren zu sein, bisweilen aber noch nützlicher, zu vergessen, um sich unbeschwert oder auch manchmal absichtslos dem Eigenen zu nähern und zu unbekannten Bildwelten vorzustoßen. Ohne zündende Idee, ohne Risiko keine Herausforderung an Seh- und Denkgewohnheiten, nichts Beunruhigendes, kein neuer Erkenntniswert – Schönheit allein reicht nicht.
In der angespannten Ruhe hat Jürgen Klauke nicht wirklich etwas vermisst: Essen – scheißen – schlafen – aufstehen – hinfallen – und dann wieder essen – scheißen – schlafen – aufstehen – hinfallen und dazwischen – ein leises Zischen und dann wieder und wieder und wieder und wieder, um endgültig hinzufallen und liegenzubleiben. Er war und ist ein Grenzgänger. Künstlerische Arbeit zwischen Faszination und Irritation, voll schonungsloser Offenheit. Performance, Video, Fotografie und Zeichnung zeigen einen intermediären Aktionisten. Im Zentrum seiner Arbeit stehen der Mensch und die ihn begleitenden unauflöslichen Konflikte. Freiheit muss man aushalten können, sagt er. Im Freiraum, den er selbst lebt und ausgesucht hat, gilt es immer wieder, sich selbst zu disziplinieren. Er sagt auch: „Kunst erzeugt im besten Fall Irritationen und Bewusstseinskrisen. Kunst weicht ab und schafft Wiedersprüche und Konflikte, sie vertieft und erweitert die Weltwahrnehmung. In geglückten Fällen wird Sisyphusarbeit umgewandelt in Erkenntisartiges.“Porträt Albrecht Fuchs
l e i d e n — s c h a f t
von María Inés Plaza Lazo
Ich empfinde keine Liebe zur Kunst, aber durch sie habe ich gelernt, zu empfinden. Mit 18 stand ich in der Sammlung von Ingvild Goetz, wo The Cremaster Cycle von Matthew Barney in seiner Gesamtheit gezeigt wurde. Es war meine allererste Vernissage und ich war so wahnsinnig berührt von den Filmen, dass ich mein Weinglas zerbrach und meine Hand dermaßen verletzte, dass ich ins Krankenhaus musste. Diese Art von Intensität erlebe ich noch immer – zuletzt während meiner wahnsinnig anstrengenden, aber unvergleichlichen Arbeit mit Arts of the Working Class. Kunst an sich ist kein Objekt. Durch Kunstwerke entsteht eine Beziehung zur Welt, die plötzlich oder nach dem Grad intellektueller Anstrengung vielschichtige Bedeutung tragen kann. Eine Intensität, die nur durch die ästhetische, historische und oder physische Auseinandersetzung mit uns selbst erklärt werden kann. Ich würde sagen, dass ich somit einer sich ständig verändernden Form von Kunstverständnis diene. Als Herausgeberin habe ich natürlich auch mit alltäglichen Aufgaben zu tun: Nachdem im März alle unsere Anzeigen storniert wurden, musste ich noch mal von vorne anfangen und mich um Dinge kümmern, die ich längst für erledigt gehalten hatte. Egal, Hauptsache, die Ausgabe ist am Ende gelungen. Dafür darf ich mich im Augenblick ausschließlich mit der Zukunft beschäftigen: In unserer aktuellen Ausgabe dreht sich alles um das Jahr 2038 und wie wir dann gelernt haben werden, besser zusammen zu leben, uns unhierarchisch zu organisieren und Schönheit kollektiv zu gestalten. Trotz allem Stress und Schmerz, den dieser Idealismus für mich und mein Team bedeutet hat, haben wir einen Sprung geschafft und einen zwar noch nicht greif-, aber spürbaren Zusammenhang von Erlebnissen erkannt. Dafür bin ich immer zu haben.
María Inés Plaza Lazo ist Kunstkuratorin und Mitbegründerin der internationalen Straßenzeitung Arts of the Working Class, eine Publikation vielschichtiger und vielsprachiger Beiträge, die sich Kunst und Gesellschaft, Luxus und Armut aus unterschiedlichsten Perspektiven annähern. Die gebürtige Ecuadorianerin lebt zurzeit in Berlin und widmet sich situationsbedingt vermehrt dem Wert von Kunst und neuen Formen des Klassenkampfes. The Weekend, libanesische Klänge und eine Playlist mit politischen Songs, zusammengefasst von der Journalistin Juliet Jacques, sind ihre Heavy Rotation. Ein Soundtrack, mit dem sie gerade versucht, ihre Pflanzen auf dem Balkon gedeihen zu lassen.Fotografie Alex John Beck
p r ä — s e n z
von Milena Kling
Wenn Menschen merken, dass etwas fehlt, fangen sie an, sich Gedanken zu machen und aufmerksamer wahr zu nehmen. Das scheint paradox, ist aber so: Ein perfektes Glas wird nicht hinterfragt. Wenn das Glas aber eine feine Kerbe in sich trägt, kann uns bewusst werden, dass da etwas gewesen sein muss, das jetzt nicht mehr zu sehen ist. Diese Abwesenheit des Bekannten fällt uns allen gerade wie Schuppen von den Augen. Wir alle nehmen unseren Alltag nicht mehr als selbstverständlich wahr. Aber dadurch nehmen wir ihn intensiver wahr. Alles, was vorher selbstverständlich war, hat durch die Abwesenheit enorm an Bedeutung gewonnen. Ich, wie viele meiner Kollegen, habe zum Beginn dieser Umkehrung von Gewohnheiten viel über den Wert meiner Arbeit nachgedacht. Jetzt, wo uns gesagt wird, dass wir als Kreative nicht systemrelevant sind. Dabei ist unsere Arbeit wichtig. Um Impulse zu geben und neue Lösungen zu entwickeln. Aus der Abwesenheit eines Standards erwächst die Chance einer Erkenntnis und eines neuen Bewusstseins. Erst entsteht ein Gefühl, daraus eine Frage, dann ein Diskurs. Momentan kehrt die Normalität wieder zurück, mit einem entscheidenden Unterschied: Wir kommen in einen Dialog über den Status Quo. Auch in meiner Arbeit mit Glas versuche ich diese Präsenz zu erwecken und entwickle Objekte, die traditionelle Prozesse um- und neu denken. Und damit zum Hinterfragen und Verstehen anregen.
„The presence of absence“ – 2012 hat sich die Berliner Produktdesignerin Milena Kling in ihrer Abschlussarbeit mit Materialien und Texturen auseinandergesetzt, die ihre filigranen Vasen, Schalen und Gläser Geschichten über deren Entstehungsprozess erzählen lassen. Ihre mundgeblasenen, atemberaubend schönen Objekte entwickelt sie aus Glas im Dialog mit unterschiedlichen Materialien, Feuer und Atem. Die Momente der Transformation und Neuschöpfung sind für die international agierende Künstlerin am spannendsten: Das Faszinierendste entsteht für sie vor allem da, wo die Planung aufhört und der Freiraum beginnt. Fotografie Jenna Dallwitz, Tobias Faisst
e r i n n e — r u n g
von Gregor Hildebrandt
In einem Lied von Tocotronic heißt es: „Im Blick zurück entstehen die Dinge". Das bedeutet für mich, dass sich etwas Neues aus einer Beobachtung heraus entwickelt kann. Ich selbst brauche oft länger, um Dinge erfassen zu können, damit sie mir verständlich werden. Meine Ideen schöpfe ich zum Teil aus der Vergangenheit. „Seht ihr die weißen Möwen dort?“ ist eine meiner letzten Arbeiten. Sie entspricht im Format eins zu eins einem Fenster im Haus meiner Großmutter im Saarland, das ich von klein auf kenne und das ich mit ihr ebenso wie mit meiner Familie verbinde. Die Glasbausteine habe ich durch Schallplatten auf der Leinwand ersetzt. Zu sehen sind drei Möwen, die zur Tür hinausfliegen. Sie symbolisieren vielleicht meine drei Onkel, zu denen ich eine sehr liebevolle Verbindung hege. Erinnerungen lassen sich lenken – und sie lenken uns. Durch einen Song beispielsweise. Das neue Album von PAAR „Die Notwendigkeit der Notwendigkeit“ – eine Band, die ich mit meinem Label Grzegorzki Records vertrete – spiegelt meine aktuelle Gefühlslage genau: Musik aus dem Jetzt, die zugleich die Musik, mit der ich sozialisiert wurde, aufleben lässt: Siouxsie and the Banshees, The Sisters of Mercy – Erinnerungen an meine Jugend. Das gibt mir Kraft in einer Zeit, die eher kräftezehrend ist. Könnte ich mir heute aussuchen, in die Zukunft oder in die Vergangenheit zu reisen, würde ich entweder nur ein bisschen zurückwollen – oder ganz weit nach vorne.
Als nicht besonders musikalisch und etwas schwerfällig beschreibt sich der Künstler Gregor Hildebrandt. Betrachtet man seine Kunst im Detail, klingt das etwas paradox. Durch akribische Arbeit mit analogen Kassettenbändern und Vinyl-Platten werden Collagen, Gemälde, Skulpturen und Installationen zum Leben erweckt – ein raffiniertes Spiel mit den Elementen der Popkultur. Sein Medium fand Hildebrandt bereits während des Kunststudiums, seine Lebenspartnerin auch gleich: Alicja Kwade. Lange hat er sich für sie ins Zeug legen müssen, dann ging alles ganz schnell. Heute ist die Nähe immer da. Dass sich ihre Werke dabei auch mal beeinflussen, ist kein Wunder.Porträt Nina LüthKunstwerk Roman März, „Seht ihr die weißen Möwen dort?", 2020, 224 x 144,3 x 4 cmzerschnittene Vinylplatten, Leinwand, Holz, Courtesy the artist, Sammlung Wemhöner and Wentrup, Berlin
s e e — l e
von Florian Jaenicke
In meiner Zeit in London fotografierte ich oft bekannte Persönlichkeiten, von denen ich gar nicht wusste weshalb sie berühmt waren. Deshalb konnte ich mich unbefangen mit ihnen unterhalten. So, dass sie sich wohlfühlten, sich öffneten und Seiten von sich zeigten, die sie sonst unter Verschluss hielten. Das ist genau das, was ich will: Ich möchte den Menschen hinter einem Image entdecken, das Wesen jeder Person. Dabei hilft es, das Bewusstsein für das eigene Äußere zu vergessen. Zum Beispiel, indem man sich völlig in ein Thema vertieft – dann gibt man zugleich die Kontrolle darüber auf, wie andere einen gerade wahrnehmen. Bei meinem Sohn Friedrich ist das anders, er öffnet sich von selbst. Er ist jeden Augenblick so, wie er eben ist. Vollkommen ungehemmt. Er ist völlig frei. Seine Seele ist sichtbar. Ich hoffe, dass meine Bilder genau das kommunizieren, dass sie ihn nahbarer machen. Ich mag den Gedanken der Reinkarnation des Buddhismus: Mit jedem Leben wird eine höhere Stufe erreicht, wenn man gutes Karma gesammelt hat. Man rückt dem Nirwana näher, der vollkommenen Freiheit. Körper und Seele werden getrennt voneinander behandelt. Und auch wenn der Körper schon weg ist, besteht die Seele fort. Und zwar in den Herzen der Hinterbliebenen. Sie ist das, was in anderen Menschen weiterlebt.
Der Fotograf Florian Jaenicke, 51, macht Bilder von seinem schwerstbehinderten Sohn Friedrich, um ihn besser zu verstehen. Sein herzzerreißendes Fotoprojekt „Wer bist du?“ dokumentiert das Leben des heute 15-Jährigen, auch als Versuch, das eigene Trauma zu bewältigen. Die feinen Antennen für Stimmungen in der Familie sind Friedrich geblieben. Und eine Liebe zur Musik, bei der er sofort entspannt: Mozart, Haydn, Liszt oder die Beatles und Johnny Cash. Fotografie Frank Bauer, Florian Jaenicke
v e rw a n d — l u n g
von Angela Mewes
Ich habe diese Krankentragen in einer alten Schuhfabrik in Pirmasens gefunden – dem hinterlassenen Depot der Amerikaner. Sie wurden ca. 1940 für die Dänische Zivilverteidigung produziert. Die Tragen wurden ausrangiert, über Jahrzehnte hinweg zusammengerollt gelagert. In unserer Gesellschaft wird normalerweise schnell entsorgt. Ich dachte sofort: Wo sieht man heute denn noch Dinosaurier? Der Stoff der Tragen ist wie eine Leinwand, die über die Jahre hinweg von vereinzelten Sonnenstrahlen beinahe gebatikt wurde. Die Unterkonstruktionen zum Zusammenklappen habe ich entfernt und die Liegeflächen in der Mitte durchgeschnitten. Auf diese Weise befreie ich die Streben aus ihrem geschichtlichen Kontext und mache sie zu meinem Symbol für Konversion. Es liegt in meinem Temperament, Dinge in Frage zu stellen, sie auf gewisse Art kaputt zu machen und zu verwandeln. Verwandlung ist in der Kunst ein stetiger Prozess, es gibt keinen endgültigen Zustand. Aufblühen und Sterben kann innerhalb weniger Tage passieren, kaum etwas ist so lebendig. Bis auf die Natur: Wie eine Explosion öffnen sich die Knospen des Baumes – das konnte ich in den letzten Wochen auf dem Land beobachten. Der Frühling ist wohl das Aufregendste, das man erleben kann. Mit den ersten Sonnenstrahlen am Morgen verändern sich alle Formen und Farben, an jeder Pflanze, an jedem Baum. Alles blüht zehn Tage lang, bis es dann auch wieder zu etwas anderem wird. Eine Energie, so kurzlebig und dekadent, für die ich nicht immer empfänglich war. Das Wunder der Verwandlung – auch die Verwandlung der Sichtweise, ist das größte Geschenk, das wir teilen können.
Ob in ihren Installationen, in ihrer Malerei oder in der Poesie: Die 1980 in der Pfalz geborene Künstlerin Angela Mewes erforscht das Wesen der Dinge und ihre Materialität. Zeichen und Elemente, die ihr begegnen, zerlegt und kombiniert sie – so lange, bis am Ende dieser Verwandlung etwas zuvor Verborgenes sichtbar wird. Bekannt ist die Wahlberlinerin nicht nur für ihre minimalistischen Arbeiten und verrätselten Inszenierungen; als Kuratorin organisiert Angela Mewes Gruppenausstellungen, die als Geheimtipp gelten.Fotografie Kristin Loschert, Galerie Tobias Naehring, Leipzig/Berlin
i d e n t i — t ä t
von Feridun Zaimoglu
Wenn wir von der heutigen Zeit sprechen, ist es keine hohe Kunst, sich als souveräne Person darzustellen. Man eigne sich das übliche Angeber-Vokabular an, man suche die üblichen Angeberorte auf, man braucht ja nur für Klimaschutz zu sein, sich die richtigen Anstecker anzuheften, ein bisschen leicht blassgrün zu sein. Das sind die Meister der Verdünnung da draußen, das hat kein Gewicht. Nicht Rückwärtsgewandtheit, Idealisierung oder Nostalgie lassen mich so sprechen. Gerade weil ich in dieser Zeit lebe, bin ich wenig angetan davon, dass alles relativiert wird und alle teletubbiemäßig nett sind. Wie überhaupt der Nettigkeitsgehalt des Jargons und des Lebens ziemlich hoch ist. Man darf das, was ich sage, nicht als moralische Empörung sehen. Ich bin archaisch gestimmt, knallhart gottgläubig, nicht religiös. Es gibt Licht und Dunkel. Bereits in jungen Jahren habe ich mich abgewandt – ein Hoch auf die Weltabgewandtheit! Ich gehörte nie zu denen, die viel von der Kunst des sich Anschmiegens an die Wirklichkeit hielten. Als Maskenball von Lügnern und Lügnerinnen hat sie mich eigentlich gar nicht interessiert. Zur Wirklichkeit gehört, dass man als Mensch blutet, wenn man sich schneidet. Oder verletzt. Um aus diesen Biotopen und verlogenen Abseiten der Identität herauszukommen, war es für mich lebensnotwendig, sehr früh zu lesen. Ich bin mit den Gedichten von Bachmann, Mayröcker, Sylvia Plath und Anne Sexton groß geworden. Sie sind wichtiger für mich als fiktionale Charaktere. Natürlich habe ich eine andere Wahrnehmung als ein Bürgersöhnchen aus Berlin-Mitte. Ich habe nie an eine Welt, die mich heil macht, geglaubt. Die Welt verätzt eher. Mein Blick auf die Dinge ist ein ganz anderer – daher kommt auch die Härte, das Herbe. Es ärgert mich, wenn einer glaubt, mit homöopathisch dosierten Gefühlchen und Empfindungchen irgendwie schon weiterkommen zu können. Kann man. Aber das war und ist nicht meine Sache. Deshalb bin ich sehr, sehr häufig auf die Schnauze gefallen und so sieht meine Fresse auch aus.
Halb wach ging er durch die letzten Tage. Tage, an denen er sonst täglich einen Gewaltmarsch durch seine Wahlheimat Kiel macht, um durchzuatmen, da ihm der Kopf vom Schreiben glüht. Auf dem Rückweg hat sich der Schriftsteller Feridun Zaimoglu immer mit einem Buch belohnt, die Zeit der geschlossenen Buchläden war für ihn ein Trauerspiel. Zuhause lebt er ohne Internetanschluss. Als Teilhabender sieht er sich dennoch: „Ich bin dem Ganzen unterworfen. Ich bin Gott untertan. Ich bin der Zeit unterworfen und ich werde natürlich auch von dieser Zeit angegangen und kann mich ganz sicher nicht beiseitestellen. Ich glaube es ist auch ein Trugschluss zu glauben, man könne sich absondern.“Fotografie Anatol Kotte
f i k t i — o n
von Christian Pfeil
Ich kann einsteigen in das Leben eines Anderen: In das einer verliebten Frau, eines Serienmörders. Und wieder aussteigen. Fiktion öffnet Türen zu Wel ten, die so nicht existieren. Für bestimmte Zeit tauche ich tief ein, bin konzentriert. In Zeiten wie heute bietet Fiktion den Menschen Zuflucht: Sie kann Antrieb sein, gegenzusteuern. Sie kann Mut machen und uns Ängste überwinden lassen. Fiktionale Welten lassen uns die Wirklichkeit ausblenden, zumindest für den Augenblick. Und dennoch hat alles, was ich erlebe, seine Folgen in der Wirklichkeit. Fiktionales wie Reales. Schon allein, dass man sich in jungen Jahren seine Vorbilder im Kino gesucht hat. Oder dass man sich die Garderobe nach dem Filmhelden ausgesucht hat. Auch Literatur lebt von Fiktion, denn ihre Rezeption geht über Leerstellen. Ich lese vage beschriebene Passagen und ergänze sie mit eigenen Gedanken und Bildern – dadurch werden sie viel reicher. Aus verschiedenen Welten hangeln sich Dinge in unser Leben. Auch Zukunftsvisionen, die eine rein fiktive Blase sind, können Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit werden. Es gibt Menschen, die behaupten, dass wir alle nur in unserer Einbildung existieren. Ich würde nicht so weit gehen. Dazu habe ich am realen Dasein viel zu viel Freude.
Vor 15 Jahren hat er sein erstes Kino eröffnet – das Münchener Monopol Kino in der Feilitzschstraße. Nachdem dort der Pachtvertrag auslief, hat er ein neues Lichttheater am Nordbad gebaut. Und zwischendurch noch das 100-jährige Metropol Kino in Gera saniert. Christian Pfeil lässt kein Kino sterben. Er liebt die dunklen Kinosäle, sie geben ihm ein Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit. Die Zeit ohne Vorstellungen nutzt er, seinen liebsten Vorführraum, den des Arena Kinos im Herzen Münchens, noch etwas schöner zu gestalten. Denn Film allein ist ihm nicht genug – er will Erlebnisse schaffen.Fotografie Priscillia Grubo
j a — z z
von Christian Prommer
Ein gutes Jazz-Konzert kann dich völlig mitnehmen. In Momente wie in Trance, die intensiv, energetisch und voller Geschwindigkeit sein können. Oder sich kalt, leer und beängstigend anfühlen. Das hat nichts damit zu tun, wie schnell oder eigenständig die Musiker spielen, sondern dass sie gemeinsam wie auf einer Welle reiten und performen. Dafür darf man nicht voreingenommen sein. Keine Vorstellung zu haben, was am Ende entstehen wird, ist das Interessante an improvisierter Musik. Diese Erfahrung lässt sich auch auf unsere momentane Ungewissheit übertragen: Keiner weiß genau, ob der aktuelle Zustand von Dauer ist, wie wir damit richtig umgehen sollen, oder ob das vielleicht gar das „new normal“ wird? In der Musik ist der Break oft nur eine Lücke, um anschließend das Vorangegangene noch einmal kraftvoll zu präsentieren. Auch in unserem Alltag merkt man, dass sich langsam wieder Energie aufbaut, wie ein großer Drumfill, der immer lauter anschwillt. Meine Hoffnung ist jedoch, dass wir etwas Neues und anderes aus dem Break machen.
Ein Leben für den perfekten Sound: Christian Prommer ist Musikproduzent, Komponist, DJ, Schlagzeuger, Percussionist und derzeit leitender Engineer des Red Bull Studio in Berlin. Mit seinem Drumlesson-Projekt schafft er eine Rückbesinnung zum Drumset, indem er Techno- und Electro-Klassiker gemeinsam mit hervorragenden Musikern zu instrumentalen Jazz-Stücken verwandelt. Die gewonnene Zeit nutzt Prommer für neue Musik, in Moll und mit dunkleren Tönen. Schöne, süße Melodien, die mit einem verzerrten, gemorphten Sound gespielt werden – diese Brüche findet er interessant. Fotografie Slavica
t r ä u — m e
von Christoph Fischer
Im Traum sah ich ihn direkt vor mir: Der mit symmetrischen Pocken übersäte Japaner blickte mir durch die Kameralinse direkt ins Gesicht. Das war 2015 in Paris. Ich habe schon immer meine Träume festgehalten. Sie haben etwas Magisches, das man nicht erklären kann. Ebenso interessiert mich, was sich direkt vor meinen Augen abspielt. Realität und Traum bedingen einander – ich könnte nie durch solch abenteuerliche Traumwelten wandeln, wenn ich im Alltag meine Beobachtungsgabe nicht geschärft hätte. Neulich an der Ampel stellten sich die Menschen schachbrettartig auf, zwischen ihnen eine Distanz, die ein Tretrollerfahrer geschickt nutzte, um im Slalom durch die Wartenden hindurchzufahren. Das war der Augenblick, in dem ich realisiert habe, dass sich die Welt gerade verändert: Man spürt es und kann es gleichzeitig nicht fassen. Jeder wird Teil eines riesigen Gefüges, in dem das Verantwortungsgefühl gegenüber unseren Mitmenschen alles andere überwiegt. Sowohl in der Realität als auch im Traum ist man Situationen ausgesetzt. Doch den Traum empfinde ich als weniger beängstigend. Im Hier und Jetzt kann ich mich nicht entscheiden, diesen einen Schritt zurückzugehen und die Kamera zu senken. Ich muss unsere veränderte Welt akzeptieren und in maskierte Gesichter blicken. Wobei es bei uns immer schon mehr Masken gab als anderswo auf der Welt, mehr Fassade, mehr Schein.
Seine Träume skizzierte der Luzerner Illustrator Christoph Fischer über Jahre direkt nach dem Aufstehen, schwarz-weiße, realistische, teils apokalyptische Erlebnisse. Aus diesen Zeichnungen ist sein aktuelles Buch „Während ich schlief“ entstanden. Ein Projekt von vielen, die in der aktuellen Ausstellung „Der Welt abgeschaut“ im Cartoonmuseum in Basel gezeigt werden. Ein Dokumentarfotograf mit Stift und Pinsel, dem ab und zu die Zeit davonläuft: Als junger Vater muss er sich in den Morgenstunden nun eher dem Spielen mit Lego widmen.Porträt Cartoonmuseum Basel, Derek Li Wan Po Photography Illustration Christoph Fischer
s c h e i — t e r n
von Albert Ostermaier
Sich zu riskieren und zu gefährden, sich ins Offene wagen und bedingungslos seinem Instinkt zu folgen – das ist in der Kunst, im Theater und im Schreiben. Diesem Wagnis ist Scheitern eingeschrieben. Es ist etwas, dass man mitnimmt, wenn man über Grenzen gehen will. Etwas, das viel wichtiger und wertvoller ist, als das ganze Gemäßigte und Abgesicherte. Ein emotionaler Teil der Selbsterkenntnis, und des künstlerischen Schaffensprozesses. Ich sehe die Kreativität, das Schreiben, und dass ich schreiben kann, als Privileg. Als Geschenk, dem ich mit Demut gegenüberstehe. Zugleich weiß ich, wie fragil es ist. Denn ganz gleich, wie viel Erfolg ich schon hatte, er hilft mir nicht, wenn ich wieder vor dem Papier sitze und Neues beginne. Die letzten eineinhalb Jahre durchlebte ich eine komplette Krise. Ich bin doppelt gescheitert – mit einem Roman und mit einem Stück. Zumindest, was die Kritik betrifft. Das war für mich eine totale Implosion. Bisher habe ich immer weitergemacht, mit noch größerer Intensität und habe aus jeder Niederlage eine noch viel größere Motivation gezogen. Auf einmal spielte das, was ich bisher erreicht hatte, keine Rolle mehr. Alles verschwindet, löst sich in Luft auf. Eine Schreibblockade, die mit einer totalen Erosion des Selbstwertgefühls verbunden war. Jetzt gab es diesen Freiraum – ein Vakuum. Und dieses Vakuum hat mir herausgeholfen. Der beste Weg, Scheitern zu verarbeiten ist, etwas Neues anzufangen: Was ich habe, sind Gedichte – in sie kann ich Schmerz mitnehmen und bin direkt bei mir.
„Vor meinem ersten Erfolg lagen sieben Jahre des Scheiterns.“ Albert Ostermaier ist freier Schriftsteller, Filmliebhaber – und Torwart der Autorennationalmannschaft. Mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen wurde der Münchner geehrt seit 1995 sein erster Gedichtband „Herz Vers Sagen“ erschien. Romane, Theaterstücke, Lyrik, das Werk Ostermaiers ist atemlos und leidenschaftlich, er gilt als einer der wichtigsten Gegenwartsdramatiker.Fotografie Kunstverlust
r e — g i e
von Xaver Schwarzenberger
Regie führen heißt bestimmen. Das ist im Alltag nicht immer notwendig. Aber Regie führen bedeutet auch Dinge voraussehen, vorausdenken. Wie Schach spielen. Den nächsten und übernächsten Schritt planen, ebenso seine Folgen und Konsequenzen. So betrachtet führe ich im Geist immer Regie. Das erleichtert vieles in meinem Alltag und im Privaten. Die letzten drei Monate lebte ich mit meiner Partnerin in ungestörter Übereinstimmung, in einer Idylle, auf einer Insel der Seligen. Das mag fast ein bisschen kitschig klingen. Aber wir hatten das noch nie – so lange weder zeitlich noch räumlich getrennt zu sein. Es war und ist ein Vergnügen für mich.
Ein Leben, unzählige Filme: Xaver Schwarzenberger ist ein österreichischer Regisseur und Kameramann. Seit den 1970er-Jahren zählt er zu den Gefragtesten seiner Branche, er drehte mit Rainer Werner Fassbinder, Loriot, Josef Hader, allen Größen des deutschsprachigen Films, gewann die wichtigsten Auszeichnungen vom Silbernen Bären bis zum Adolf-Grimme-Preis. Schwarzenberger gibt eigentlich ungern Interviews – und er scheut die Öffentlichkeit, eine Eigenschaft, die ihm derzeit in die Karten spielt. Fotografie WDR, Klaus Görgen
s e h n — s u ch t
von Miro Craemer
Unser Begehren entspringt einem Mangel, den es kontinuierlich zu stillen sucht. Würden wir aufhören zu begehren, würden wir uns mehr im Hier und Jetzt umsehen. Stattdessen begehren wir immerzu. Die Sehnsucht als eine Form der Begierde ist in die Zukunft gerichtet und schöpft aus der Vergangenheit. Ich versuche als Künstler – und am Ende auch einfach als Mensch – in der Gegenwart zu leben. Denn Sehnsucht ist oftmals etwas, das uns von diesem Augenblick, den wir erleben, abbringt. Und in eine Scheinwelt führt, die sich vorzugsweise mit schönen Dingen auseinandersetzt. Oder die einem Schreckgespenst gleicht, sobald sich unsere Ängste darin verfangen. Wenn es uns jedoch gelingt, die Distanz zwischen Realität und Sehnsucht so minimal wie möglich zu halten, ist ein Aufschub, wie wir ihn momentan erleben, nicht so dramatisch. Denn diese Art von Sehnsucht lässt uns zu uns finden und in einem ständigen Prozess der Erfüllung leben.
Formen, Stoffe, Farben: Die Grundelemente sind dem ehemaligen Modemacher geblieben, der heute als Textilkünstler und Social Designer arbeitet. Die interdisziplinären Arbeiten von Miro Craemer kreisen um Themen wie Verantwortung, Integration, Partizipation, balancieren zwischen Bekleidung und Installation, oft bunt, immer inspirierend. Mit der Pinakothek der Moderne in München hat er das Programm „Togetthere_Xperience“ konzipiert, eine Initiative für mehr Teilhabe von Bürgern am Museumsbetrieb.Fotografie Thomas Weinberger, Pablo Lauf
i r o — n i e
von Max Czollek
Es ist nicht nur wichtig, den politischen Kampf aufrechtzuerhalten. Sondern auch, sich dabei die Kräfte einzuteilen, sonst beißt man sich die Zähne aus. Die Kunst ist für mich deshalb ein wichtiger Ort. Weil sie Ironie zulässt, im Gegensatz zur Politik, die zum Verzweifeln gemacht scheint. Ironie bietet eine hervorragende Möglichkeit, diese Verzweiflung wieder in Energie umzuwandeln. Hannah Arendt hat 1964 in einem berühmten Fernsehinterview gesagt: „Wissen Sie, was die Leute mir übelnehmen? Dass ich da noch lachen kann.“ Genau das ist der Unterschied zwischen einer politisch-aktivistischen Position und einer künstlerischen: In der Kunst wird aus Verzweiflung Energie.
Schriftsteller, 33 Jahre alt, Intellektueller, Berliner, Jude, Max Czollek. Wie muss sich die Gesellschaft wandeln, damit Menschen gleichermaßen Solidarität erfahren? Welche liebgewonnenen Überzeugungen müssen wir alle dafür aufgeben? Max Czollek stellt unangenehme, radikale, aber eben auch zeitgemäße Fragen. „Desintegriert euch“ heißt sein vielbeachtetes letztes Buch. „Gegenwartsbewältigung“, sein neues, wird im August erscheinen. Sinnvoll wäre für ihn, dass jeder ein Semester Soziologie studiert – um Struktur und Individuen unterscheiden zu können.Fotografie Konstantin Boerner
h ö — r e n
von Michaela Melián
Bevor wir sehen, hören wir die Welt. Schon als Embryo hören wir den Herzschlag und das Rauschen der Blutbahnen der Mutter. Mit sechs Jahren begann ich Gitarre zu lernen und im Chor zu singen, später war dann die Musik mein persönlicher Türöffner in kulturelle Kontexte. Ob beim Musik hören bzw. Musik alleine oder mit anderen zu machen ist das Hören absolut entscheidend. Ich habe erst Musik und dann Kunst studiert, und an der Kunstakademie mit anderen die Band F.S.K. gegründet. Als es dank des Computers möglich wurde, Musik im Home Studio selbst aufzunehmen, habe ich angefangen eigene Musik zu produzieren und so fand das Auditive dann Eingang in meine Kunstproduktionen. Anders als bei Kunstwerken, die rein über das Visuelle funktionieren, müssen RezipientInnen von zeitbasierten Kunstwerken Zeit investieren. Aber während wir Videos und Filme immer zuerst über die Augen wahrnehmen, sind wir bei reinen Audioarbeiten von den Klängen – von Sprache, Sound oder Musik – umschlossen. Diese Werke verlangen uns die bewusste Entscheidung ab, ob wir weiter zuhören wollen. Da ich mir die Welt immer schon bewußt über das Hören erschlossen habe, bin ich natürlich auch im Alltag sehr sensibel für das, was ich höre. So bringt uns die aktuelle Situation mit all ihren Schrecken aber auch einen Zauber: Es ist plötzlich still im urbanen Raum und die Vogelstimmen sind auf einmal ganz laut, klar und ungestört zu hören. Oder ich sehe und höre Insekten – es kommt mir vor, als gäbe es wieder mehr Insekten, so surrt und brummt es. Mit meinem Mann Thomas gehe ich durch die Stadt, den Wald und die Wiesen, wir schalten das Radio an, legen Musik auf und telefonieren. Dabei hören wir uns und der Welt zu.
Klang ist ihr Metier: Die Münchener Musikerin und Künstlerin Michaela Melián ist bekannt für ihre Klanginstallationen und vielfach ausgezeichneten Hörspiele. „Mode und Verzweiflung“ hieß in den 80ern ihre Zeitschrift, F.S.K. ihre Band, benannt nach „Freiwillige Selbstkontrolle“, dem Institut zur Alterszertifizierung von Filmen und Musik. Die Professorin für zeitbezogene Medien, Bassistin und Sängerin tourt so bald wie möglich wieder in der alten Besetzung, zu der ihr Mann Thomas Meinecke gehört. Für sie ist das Hören intensiver als Sehen, denn „deine Augen kannst du zumachen, deine Ohren nicht“.Fotografie Jörg Koopmann
n a — c h t
von Daniel Hahn
An einem pulsierenden Ort sein, etwas erleben. Ich merke erst jetzt, wie stark mir das fehlt. Bisher bedeutete die Nacht natürlich immer Arbeit für mich, aber ich war gerne Teil des Ganzen, es macht mir Spaß, unter Menschen zu sein. Mit unterschiedlichen Persönlichkeiten in Kontakt zu treten, mich inspirieren zu lassen. Mal wieder ins Theater oder in eine Bar zu gehen – einfach dieses unbeschwerte Gefühl zu haben. Wenn es die Nacht nicht gäbe, müsste ich mich tagsüber auf die Suche nach diesen Erlebnissen machen. Auch wenn sie dann wohl in anderer Form stattfinden würden. Es ist nicht einfach zu ergründen, weshalb die Nacht für uns Menschen eine so magische Anziehung hat. Vielleicht weil das, was nachts passiert, im Verborgenen bleiben kann. Womöglich weil unser Urinstinkt in der Nachtzeit bestimmte Signale sendet und unsere Grundstimmung eine andere ist. Vielleicht ist es die Spannung, wenn wir in diese andere Welt eintauchen, um sie zu erkunden.
Am Ammersee in Teile zerlegt, in München wieder zusammengeschweißt: Mit der kaum vorstellbaren Wandlung der MS Utting vom Ausflugsdampfer zum Szeneschiff hat sich Daniel Hahn einen Traum erfüllt. Seine Energie, aus alten Zirkuszelten, U-Bahnen und Containern kulturelle Hotspots zu schaffen, ist grenzenlos. Seine Gabe zur Improvisation hat die letzten Wochen nicht besser, aber zumindest erträglicher gemacht.Fotografie Denis Pernath
c h an — c e n
von Bettina Reitz
Unser Sein wurde 2020 verändert. Dieser Einschnitt wird auch die Filmschaffenden betreffen, denn die aktuelle Situation macht etwas mit der retrospektiven Betrachtung unseres Lebens. Das Spektrum der Umsetzung wird breit sein – es wird Menschen geben, die das Erlebte dramatischer sehen und andere, die die Dinge auf humorvolle Weise aufbereiten. Die Geschwindigkeit, mit der wir heute in die digitale Welt gehen, der Verlust des gemeinsamen Erlebens oder anderer gesellschaftlicher Selbstverständlichkeiten – mit diesen neuen Wahrnehmungen und Gegebenheiten werden sich auch die Erzählungen im Film verändern. Schon jetzt konnte man feststellen, dass viele Menschen die Zeit des Zuhauseseins nutzten, um Filme zu sehen, die ihnen emotionale Kraft oder Stabilität vermitteln konnten. Oder Filme, die eine Reflexion ihrer aktuellen Situation zeigen und Trost spenden. Egal ob fiktional oder dokumentarisch – bis hin zu selbstgedrehten Videos von der Familie, die einen berühren, weil man gerade getrennt ist. Der Film besitzt die große Gabe, seinen Figuren über die inhaltliche Erzählung eine persönliche Reise zu ermöglichen – eine Chance der Veränderung, die ich als emotionale Selbstheilung beschreiben würde. Diese Wirkung lässt sich auch auf die Zuschauerinnen und Zuschauer übertragen. Deshalb ist Film vielleicht neben Musik, Literatur und Kunst im Augenblick das Medium der Stunde.
Prof. Bettina Reitz ist Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film München. Eine Institution. Ihr Gespür für Stoffe machte sie früh zu einer der profiliertesten Fernsehfrauen. Und Oscar-„Mit-Gewinnerin“: Dank ihrer Initiative als Programmbereichsleiterin beim BR erhielt „Das Leben der Anderen“ die nötigen Mittel. Und die höchsten Ehren. Durch die Umstellung auf die digitale Lehre an der HFF kommt sie aktuell kaum dazu, privat Filme zu sehen, zum Beispiel die alten französischen mit Michel Piccoli.Fotografie Robert Pupeter
t r o — s t
von Claas Brieler
Gerade jetzt fallen mir einzelne Songs immer wieder ein, viele davon bleiben tagelang im Kopf. Zum Beispiel „Keep the faith“ von Mel & Tim auf Stax Records. Der Titel spricht für sich selbst und erklärt das Warum! Morgen könnte es schon wieder etwas Anderes sein, z.B. „Get on it“ von DeRobert and the Half-Truths. Oder The Gospel Blenders: „Headin for Armageddon“ – für die Zeit vor dem Break. Platten können mich in bestimmte Phasen meines Lebens zurückbeamen. Einen Soundtrack für das Jetzt, das 2020 der letzten Monate, gibt es auch: Im letzten Jahr habe ich schon an etwas fast Passendem gearbeitet, einem Mix, den ich „Tense Atmosphere“ genannt habe. Nun werde ich neben neuer Musik auch ältere Titel wie zum Beispiel „Veleiro Azul“ von Luiz Melodia in meinen persönlichen Soundtrack aufnehmen. Am Ende werden wohl gleich mehrere Soundtracks entstehen, weil es so unterschiedliche Ansätze gibt: „We can live together“ von Mocko Jumbie Jamboree löst für mich genauso etwas aus wie „Contaminated“ von David Stewart. Um Erlebnisse verarbeiten zu können, brauche ich aber manchmal auch die Ruhe und den Raum ohne Musik.
Claas Brieler ist DJ, Producer, Remixer und Mitbegründer des ikonischen Musikkollektivs Jazzanova. So umfangreich wie Brielers musikalisches Wissen ist auch seine Plattensammlung, die sowohl aus alten Schätzen als auch aus Neuentdeckungen besteht – geordnet nach Stilen, nach Labels, aber auch nach Emotionen. Unter dem Eindruck der großen Auswahl fällt es ihm schwer, eine LP auszuwählen, die er von Anfang bis Ende durchhören möchte – meistens merkt er sich einzelne Songs.Fotografie Paulina Hildesheim
pe r f e k—t i o n
von Philipp Jelenska
Ich hatte gerade viel Zeit, um an mir selbst zu arbeiten. Das hat gutgetan. Dabei ist auch ein eigenes Lexikon aus alten Projekten entstanden. Viele meiner Fotos sehe ich nun mit anderem Blick. Man mag meine Arbeit, wenn man Glamour mag. Ab einem gewissen Level in der Mode braucht man auch einen Hauch von Glamour, die Anmutung von Perfektion, die dann doch oft im Imperfekten zu suchen und zu finden ist. Was Perfektion betrifft, bin ich sehr penibel. Zufall lasse ich nur zu, wenn er mir gefällt. Meist hängt das vom Projekt und vom Model ab – wenn ich Feuer sehe, will ich es entfachen und die Leidenschaft rausholen. Dafür begebe ich mich auch gerne „out of my comfort zone“, lege die Kontrolle nieder und lasse dem Prozess freien Lauf. Mir ist wichtig, dass auch dem Model bewusst ist, dass es ein Künstler ist. Natürlich ist in meinen Bildern viel „fake“. Nicht, dass ich das Bild komplett verändere, aber ich gebe ihm mit Filtern und Farbe meinen persönlichen Touch. Etwa fünfzig Prozent meiner Arbeitszeit sind Postproduction – angefangen von der Auswahl des Motivs bis zur fertigen Nachbearbeitung. Aber warum sollte ich diese Möglichkeiten nicht anwenden? Es schaut einfach schön aus.
Philipp Jelenska, geboren in Wien, Wurzeln in Polen, hat sich schon früh auf die fotografischen Themenfelder Fashion und Beauty spezialisiert. Seine Arbeiten für Magazine und Kampagnen sind ruhige, elegante Inszenierungen, fokussiert auf die perfekte Darstellung von Haut oder Stoffen. Die internationale Anerkennung ist ihm bereits sicher, aber er will weiter, möchte in normaleren Zeiten endlich auch in der amerikanischen und asiatischen Szene Fuß fassen. Fotografie Philipp Jelenska
v e r — z ic h t
von Sebastian Haslauer
Die Menschen erfahren gerade etwas, das sich wie Einkehr und Pause anfühlt. Ich verordne mir das regelmäßig selbst – ich bin sehr gerne alleine. Das Künstlerdasein ist überhaupt ein eher einsames, aber gerade erlebe ich es wie ein Forschungssemester: Ich gehe Ideen nach, für die neben der kommerziellen Arbeit kein Raum wäre. Und mache von der Collage bis zur Malerei alles. Denn nichts ist schlimmer, als in Routine zu verfallen und sich permanent selbst zu zitieren. Auch deshalb mag ich das analoge Arbeiten sehr, es bietet die Möglichkeit, Ungenauigkeiten zuzulassen und Brüche zu forcieren. Mich stimulieren diese Fehler – ich brauche sie, um voranzukommen. Reibung generiert bei mir schöpferische Energie, während das Digitale dazu neigt, jede Imperfektion zu tilgen. Alle sind schnelle Änderungen und direkte Retusche gewohnt und fordern das als Selbstverständlichkeit. Ich würde am liebsten alles analog machen und freue mich über jeden Pinselstrich oder Farbtropfen, den man wirklich sieht. Auch weil die Bilder dadurch gesehen werden!
Schräg, ungesehen, überraschend: Die Arbeiten des Berliner Multitalents Sebastian Haslauer bewegen sich zwischen Malerei, Collage, Keramik und Objekt, zwischen Wanduhren, Schals und Performance. Subtil ist deren Witz, deren Kritik an Missständen, plakativ ihre Machart. Der frisch gebackene Vater schafft sich seit Jahren einen ganz eigenen Kreativkosmos, denn das ist sein Anliegen: Neue Ideen sollen auch in Zukunft ein Recht auf Entfaltung haben.Illustration Sebastian Haslauer Fotografie Niklas Adrian Vindelev
s pr a — c h e
von Kübra Gümüşay
Ich bin sehr oft sprachlos. Aber ich mag das Gefühl von Sprachlosigkeit. Es bedeutet, dass es Neues zu entdecken gibt. Früher fand ich dieses Gefühl, in eine Mauer der Sprache gelaufen zu sein, furchtbar. Ich habe es als eine Art Machtlosigkeit empfunden. Heute erlebe ich diesen kurzen Moment, diese Suche nach Wörtern, als besonders reizvoll. Wie eine Herausforderung, unbekannter Boden, den man erstmals betritt. Muhabbet ist zum Beispiel ein Wort, das es im Deutschen nicht gibt. Es kommt aus dem Türkischen und beschreibt die Liebe, die Zuneigung, die durch ein Gespräch entstehen kann. Wir können durch Worte, durch Buchstaben, durch schwarze Schrift auf weißem Papier miteinander kommunizieren und durch fremde Gedankenwelten reisen. Wir können mit Sprache Nähe schaffen, auch wenn man sein Haus gerade nicht verlassen kann.
Kübra Gümüşay hat in Hamburg und London Politikwissenschaften studiert und gilt als eine der wichtigsten Stimmen zu Themen wie Internet, Feminismus, Rassismus und Politik. Ihr neuestes Buch „Sprache und Sein“ setzt sich mit der von ihr leidenschaftlich argumentierten Notwendigkeit von Diskurs und Kommunikation auseinander. Wie können Menschen als Menschen sprechen? Die Autorin, Rednerin, Aktivistin und praktizierende Muslima engagiert sich mehr denn je in zahlreichen Vereinen und Kampagnen und referiert regelmäßig zu den Themen, die unsere Gesellschaft bewegen.Fotografie Privat
e ne r — g i e
von Andreas Klingseisen
Egoismus und Altruismus sind für mich keinesfalls Gegensätze – dass meine Akkus voll sind, ist essenziell für die Arbeit mit anderen Menschen, weshalb ich viel Energie in mich selbst stecke. Wenn es mir gutgeht, habe ich die Kraft, anderen Gutes zu tun. Gerade bietet sich uns eine Möglichkeit, innezuhalten und zu analysieren: Was sind unsere Werte? Wer bin ich als Mensch? Was erwarte ich von mir? Als Vater? Als Unternehmer? Auch meine Termine sind fest getaktet, da gibt es keine Variablen. Der kleine Zaubertrick ist, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, dass die Batterien leer werden. Um Ausgeglichenheit zu erreichen, gebe ich Kunden oft den Tipp, ihre Aufgaben nach Farben zu sortieren. So erkennen sie sofort, wo zu viel und wo zu wenig Energie fließt und können besser haushalten. Die Familie und unsere neugeborene Tochter schärfen meinen Blick auf das Wesentliche. Dass das Hier und Jetzt zählt und nicht Problemchen bei der Arbeit, die aufgrund der aktuellen Lage nun einmal da sind. Die Krise hat ihr Positives: Ich habe in letzter Zeit Denkprozesse zugelassen, die sonst in unternehmerischer Engstirnigkeit wahrscheinlich keinen Platz gefunden hätten. Am Ende des Tages geht es in allem, was man tut, darum zu wissen, wie die eigene Vision fürs Leben aussieht. So lebt man zufriedener und relativ unabhängig von äußeren Umständen.
Andreas Klingseisen ist ein echter Allrounder: Mitgründer des exquisiten Münchner Shoelabels VOR, Mitgründer des exklusiven Fitnessclubs MTMT, der neben physischem Training mentales Coaching anbietet. Außerdem ist bei seinen zwei kleinen Töchtern, 1 Monat und 2 Jahre, momentan regelmäßiges Windelwechseln angesagt. Ohne Musik läuft bei ihm gar nichts. Um energiegeladen in den Tag zu starten, kocht der selbsternannte Lied-Tothörer erst mal eine Kanne Tee und dreht dann auf – seinen liebsten Sound auf Radio FM4.Fotografie Markus Burke
s pa n — n u n g
von Patrick Hahn
Wenn Energie vom Orchester zurückkommt, spüre ich das während des Dirigierens. Das Publikum merkt unseren Zusammenhalt auch. Gerade bei langsamen und ruhigen Stücken muss ich es schaffen, dass der Fluss nie erschlafft und die Musik schlichtweg fad wirkt. Eine Gratwanderung, weil man Situationen jedes Mal aufs Neue ausloten muss – Fingerspitzengefühl ist gefragt. Korrespondieren Stimmung, positive Energie und Wille des Orchesters sind das Feinheiten, die für Außenstehende oft nur unterschwellig wahrnehmbar sind. Man darf die Zuhörer aber nie unterschätzen – sie reagieren intuitiv und haben ein gutes Bauchgefühl. Es kann natürlich passieren, dass alle unterspannt sind. Durch zu viele Proben, durch zu wenig Kaffee – es gibt diverse Gründe, warum die Spannung abhandenkommen kann. Auch das Gegenteil kann eintreten: Dann sind die Spieler überdreht oder ich als Dirigent werde schneller und überhäufe sie mit Energie. Das konstruktive Arbeiten geht verloren und der Dirigent genießt zu sehr. Auskosten dürfen aber eigentlich nur die Zuschauer. Gerade kann ich es nicht mehr erwarten, wieder auf dem Podium vor den Musikern zu stehen und die Energie zu fühlen. Es war lange Zeit still. Und naiv zu glauben, dass man nach drei Wochen wieder live spielen würde. Für mich ist es eine fruchtlose Zeit gewesen. Aber mein Blick in die Zukunft bleibt positiv: Wenn es weitergeht, wird wieder Spannung entstehen, denn sie ergibt sich aus dem Miteinander.
Der in Graz geborene Patrick Hahn lernte früh, dass das Alter irrelevant wird, wenn die Leistung stimmt – bereits mit 12 Jahren schrieb er seine erste Komposition, die Oper „Die Frittatensuppe“. Der inzwischen 25-jährige Dirigent, Komponist und Pianist arbeitete unter anderem mit den Münchner Philharmonikern, den Symphonikern Hamburg und den Wiener Symphonikern zusammen. Neben der klassischen gehört auch die Jazz Musik zu seinen Leidenschaften, gekrönt von Auszeichnungen auf verschiedenen Festivals für sein Spiel am Piano.Fotografie Gerhard Donauer
s o u n — d
von Marvin Schuhmann & Valentino Betz
Letztens sind wir am Europäischen Patentamt vorbeigelaufen. Auf dem großen Platz vor dem Eingang wehen Fahnen der verschiedenen Nationen. Es war ein relativ windiger Tag und die Seile, mit denen die Fahnen hochgezogen werden, schlugen metallisch klackernd gegen die Masten. Das war ein gutes Geräusch – wir haben es sofort mit Urlaub assoziiert. Mit Meereswind und Segelbooten, die im Hafen schaukeln. Uns fasziniert, wie schnell man die Wahrnehmung einer Situation durch einen Sound oder Musik verändern kann. Im Film ist es uns bewusst, aber im Alltag passiert es oft genauso. Ob eine bestimmte Musik zu einem Augenblick passt, ist persönlich und lässt sich nicht pauschalisieren. Trotzdem wissen wir, dass z.B. fröhliche Musik traurige Momente erhellen kann: Wir hören gerade oft „I Can“ von Sano x Siwo, erschienen auf unserem eigenen Label. Das macht uns gute Laune.
Marvin Schuhmann und Valentino Betz betreiben das Label Public Possession. Was mit Auflegen und Produzieren begann, hat sich zu einer Musik/Mode/Grafik-Marke entwickelt, mit internationaler Ausstrahlung und Heimat in München, wo sie ihre Produktionen im eigenen Laden vertreiben. Ihre Flyer und Plakate sind inzwischen Sammlerstücke, raffiniert balancierend zwischen kindlicher Unbeholfenheit, Kopiererästhetik und Druckfehlern. Manche orientieren sich am Sound der DJs, andere am Design einer LKW-Plane. Großartig sind sie alle.Fotografie, Illustration Public Possession
g e — s ch i c h t e n
von Franz Xaver Gernstl
Damals beim ersten Dreh sind wir einfach mit einem alten Renault R16 losgefahren und wussten nicht wirklich, was wir vorhatten. Haben in der Dorfdisco der Bardame mit unserer großen Kamera imponiert, weil es lustig war. Aber heute erkenne ich, dass wir von Anfang an auf der Suche nach Menschen waren, die wissen, wie man lebt – ihren Geisteshaltungen und Lebensphilosophien. Zu erfahren wie sie mit sich, den Gegebenheiten und ihrem Dasein umgehen, interessiert mich. Viele Begegnungen haben mich nachhaltig geprägt: Solidarität und Hilfsbereitschaft, gesund und glücklich sein – besonders in dieser verlangsamten Zeit gibt es wesentlich mehr als die Dinge, denen man sonst so hinterherhechelt. Wenn ich überlege, wer der glücklichste Mensch war, den ich je getroffen habe, fällt mir der Fuzzy vom Naschmarkt in Wien ein. Wir haben ihn an einer Wurstbude kennengelernt, wo er Obstkisten gestapelt hat. Damit verdiente er sich seinen Schnaps. Fuzzy hat uns in seine Wohnung im Souterrain eingeladen: Auf siebeneinhalb Quadratmetern gab es ein Schrankbett, eine Kochplatte, einen Röhrenfernseher und seine „Bibliothek“. Aus den Holzstäbchen abgefeuerter Raketen, die er an Neujahr einsammeln war, hatte er ein detailgetreues Abbild einer thailändischen Eisenbahnbrücke gebaut – die Brücke am Kwai. Im Monat lebte er von 250 Euro – und das reichte ihm. Menschen wie Fuzzy begleiten mich bis heute – auf sie hoffe ich immer wieder zu treffen.
„Ich habe den Eindruck, dass ich eher so der Geschichteneinsammler bin.“ BR-Reporter Franz Xaver Gernstl tourt seit den 1980er Jahren recht unkonventionell mit seinen Freunden und Kollegen, Kameramann Hans Peter Fischer und Tonassistent Stefan Ravasz durch die Welt. Mit einem alten Straßenkreuzer schlugen sie per Würfelprinzip ihre Wege ein. Und genauso zufällig, offen und liebevoll sind ihre Begegnungen. Zutiefst menschelnde Annäherungen, die hoffentlich auch in veränderten Zeiten ihren Platz finden.Fotografie Dominik Osswald
k o n — t r o l l e
von Tina Berning
Mein Arbeitsprozess zeugt mehr von einem Finden als vom klaren Definieren. Ich arbeite mit Tusche, Aquarell oder Acryl – was gerade so zur Hand ist. Schon lange nutze ich recyceltes Papier: Ich mag die Spuren darauf, ob es sich um Flecken handelt oder um Notizen von Menschen, von denen keiner mehr weiß, was sie einmal bedeuten sollten. Manchmal klebe ich Zeichnungen, die ich zuvor verworfen habe, zusammen und schaffe darauf wieder etwas Neues. Daraus entstehen oft unvorhersehbare Motive. Der Reiz der Zeichnung ist ihre Unmittelbarkeit, sie lässt mir wenig Möglichkeiten zu korrigieren. Der Betrachter sieht meine Handbewegung auf dem Papier. Wenn ich einen falschen Strich mache, muss ich reagieren und etwas daraus machen. Das hält mich auf Trab! Das schönste Gefühl ist, wenn das Zeichnen einen Flow bekommt und du dich am Ende sogar wunderst, wie du das jetzt hingekriegt hast. Als Künstler kenne ich den Zustand der Ungewissheit, finanziell und was die Art der Aufträge angeht. Ich mache das jetzt seit 20 Jahren, mal ist Geld auf dem Konto und mal nicht so viel. Ich verfalle deshalb nicht in Panik, denn ich bin es nicht anders gewohnt. Neu für mich war, ohne Druck zu arbeiten und zu erkennen, dass es auch so funktioniert. Ich habe die letzten Wochen deshalb auch wahnsinnig genossen. Abgesehen von den dramatischen Entwicklungen vielerorts ist die Situation auch einzigartig – ein globales Innehalten. Erkennen können, wie und warum wir Dinge machen. Gerade dieses Runterschalten bleibt uns auch für die Zeit danach hoffentlich ein bisschen erhalten. Und die Fähigkeit, bestimmte Augenblicke intensiver zu genießen.
Tina Berning arbeitet am Frauenbild: Die Illustratorin kreist in ihren farbenfrohen, kräftigen Aquarellen und Zeichnungen um weibliche Rollen und Formen, um Mode, Sex und Intimität. Mit wenigen Strichen schafft sie betörende Porträts, die Leichtigkeit ihrer Arbeiten lässt die Anstrengung kaum spüren. In ihrem Berliner Atelier ringt sie als Künstlerin immer mit Motivation, Kreativität oder mit sich selbst. Diese Herausforderungen meistert sie ebenso gut wie ihre neue Aufgabe in den letzten Wochen, dem Homeschooling ihrer Tochter, mit Gelassenheit. In ihrer Serie „Stop.Look.Listen.“ hält sie ihre ganz persönlichen Eindrücke dieser Zeit fest. Illustration Tina Berning
z e i — t
von Bernhart Schwenk
Die ganzen Jahre habe ich mir immer wieder gewünscht, einmal die Zeit anhalten zu können. In diesem Jahr stand sie still. Klarheit und Ruhe herrschten, wo die Zeit sonst durch politische und wirtschaftliche Strukturen stark rhythmisiert ist. Immerzu müssen wir sie takten, nutzen, füllen. Sogar der Freizeit haben wir einen Rahmen gegeben. „Die Welt ist aus den Fugen", höre ich heute oft. Aber das war sie schon immer, wir wollten es nur nicht wahrnehmen. Disbalance ist genau das, womit Kunst sich stets auseinandersetzt. Sie sucht sie geradezu, um ein Gleichgewicht herzustellen. Museen – wie auch andere Kulturorte – helfen Menschen dabei, sich von der funktionalisierten Zeit zu lösen und eine andere Art von Zeit zu erleben – die Betrachtungszeit. Sie gibt uns große Freiheit, weil wir uns in sie versenken können. Weil wir uns von unseren Gefühlen und Gedanken leiten lassen können. Wir verlieren deshalb nicht den Bezug zum Leben, wir konzentrieren uns auf andere Art und Weise, als wir das im Alltag tun. Ohne Ablenkung, mit großer Tiefe. Diese Zeiterfahrung, die die Kunst uns schenkt, ist eine besonders glückliche – ein berührendes und intensives Erlebnis.
„Kunst ist dazu in der Lage, Grenzen zu überschreiten – und zwar Denk-Grenzen" – Bernhart Schwenk ist Kunsthistoriker. Als Ausstellungskurator war er zunächst an der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main und danach am Haus der Kunst in München tätig. Seit 2002 ist er Sammlungsleiter und Kurator für Gegenwartskunst an der Pinakothek der Moderne in München. Kultur im Wandel, Selbstverständnis von Museen, Verantwortung der Kunst – diese und viele andere Themen stehen im Fokus dieses leidenschaftlichen Streiters für die Kunst.Fotografie Thomas Weinberger
i n di v i— d u a li t ä t
von Sven Jacobsen
Individualisten sind die Menschen, die oft als schwierig eingestuft werden. Starke Charaktere, die manchmal auch einfach eine „Scheiß drauf“-Einstellung haben und nicht jede Sekunde, Minute und Stunde des Tages durchorganisieren. Ich finde nichts geiler als Zeit zu verplempern! Individualisten haben ihre eigenen Gesetze. Sie denken und handeln anders als andere Menschen. So, wie sie es selbst eben für richtig halten. Leider gibt es davon viel zu wenige. Man muss Menschen alles sagen. Sie sind wie eine Herde Schafe. Und das wird sich so schnell nicht ändern. Dafür war jetzt auch die Zeit zu kurz. Die Menschen sind zu eingefahren in ihrem Denken, hinterfragen nicht. Wir stehen kurz davor, uns zu einer Gesellschaft zu entwickeln, in der jede Persönlichkeit aus vorgefassten Ideen hergestellt wird. Individualisten hinterfragen alles, machen sich ihr eigenes Bild, haben einen kritischen Blick und wollen selber auch Kritik. Ich liebe Kritik! Anders kommt man im Leben nicht weiter. Individualität steckt einfach in einem drinnen.
Sven Jacobsen ist ein in Kiel geborener Fotograf, dessen Arbeiten von Fashion- und Editorial- bis hin zur People-Fotografie reichen. Es sind die außergewöhnlichen Charaktere, die ihn anziehen, Menschen, die ihre Einzigartigkeit außerhalb der erwarteten Normen der Gesellschaft zeigen. Für sein Langzeitprojekt „Personal Icons“ fotografiert er seit Jahren diese sehr eigenen Persönlichkeiten. Und gibt so der Individualität ein Gesicht.Fotografie Sven Jacobsen
b e r ü h — r u n g
von Stefan Merki
Anfangs fühlte ich mich wie im falschen Film. Unglaublich verrückt, ein ständiges Hin und Her: Dürfen wir noch auftreten, dürfen wir noch zu Gastspielen wegfliegen? Kommen wir noch zurück? Es kam einem Drama gleich. Wobei Dramen generell eher zeitlos sind. Sie beschreiben menschliche Züge und Verhaltensweisen in der griechischen Antike wie heute. Die Frage ist, wie gehen wir damit um? Ein altes Stück wurde durch zeitgenössische Sprache angepasst, eine aktualisierte Übersetzung wurde erschaffen. Wir waren erst nicht zufrieden und gingen noch einen Schritt weiter, bis es heftig genug war, um die Menschen heute zu berühren. Nun spreche ich am Küchentisch sitzend meinen Text in die Kamera des Computers. Mir fehlt der Probenraum, die Bühne, ja das Theater selbst. Mit dem Betreten des Theaters stellt sich die Bereitschaft ein, Neues zu entdecken, auf die Suche zu gehen. Das ergibt sich zuhause in der Privatheit am Küchentisch nicht. Bald wird ein Stück namens „Touch“ Premiere haben. Verrückt, oder? In einer Zeit, in der man sich nicht berühren darf. Das Theater ist im Grunde Ort der Begegnung und Berührung. Man geht nun nicht mehr seinen Impulsen nach, sondern muss sie in diesen Zeiten unterdrücken. Das verändert uns und das verändert das Theater.
Stefan Merki ist sowohl im Theater als auch im Film zuhause. Der Schweizer Schauspieler ist Ensemble-Mitglied der Münchner Kammerspiele und performte als Vogelscheuche noch im März auf den Festspielen in Saõ Paulo „Farm Fatale“, ein modernes Öko-Märchen. Zurück in München las und spielte er mit Kollegen digital, um trotz der Schließungen ein Gefühl des Miteinanders erschaffen zu können. Strenge Regeln gelten für Film und Theater trotzdem: Wer küsst, muss in Quarantäne! Fotografie Julian Baumann
au f — b ru c h
von Beatrice Berrut
Plötzlich klingelte das Telefon mehrmals pro Tag: Eine Absage nach der anderen. Kurz dachte ich: Das werde ich als Künstlerin nicht überleben. Nach dem ersten Schock offenbarte sich mir aber ein ganz neuer Zugang zu einer intimen Musikalität. Ich habe stundenlang geübt, alte Werke neu aufblühen lassen und Präludien komponiert. Dabei ist die Flamme in mir wieder aufgelodert, mein Selbst hatte Zeit zu reifen. So leicht bekommt man uns Kulturschaffende nicht los. Die menschliche Seele braucht nämlich drei Dinge: Eine Beziehung zur Natur, Interaktion mit anderen Menschen und die Schönheit von Kunst und Kultur. Die habe ich mit elf schon entdeckt. Das zweite Klavierkonzert von Brahms hat mir damals einen Kosmos eröffnet. Ich hätte nie gedacht, dass das Leben solche Dimensionen annehmen könnte. Das gleiche Gefühl überkommt mich, wenn ich in die riesigen Weiten der Schweizer Berge blicke. Mein Lebenspfad gleicht einer Wanderung. Mit anstrengenderen unbefestigten Pfaden, die Durststrecke direkt nach meinem Studium zum Beispiel, und mit ausgeschilderten flachen Wanderwegen, die einem Ruhe erlauben. Da bin ich jetzt gerade nicht. Zum Gipfel der Kunst will ich, obwohl Perfektion weder definiert noch erreicht werden kann. Aber ich breche zum Aussichtspunkt auf. Die Aussicht auf eine Welt, in der die Menschen die Natur wieder mehr schätzen und in der das Wesentliche in den Fokus rückt. Eine Welt mit Zukunftsperspektive. Letzte Woche war es so weit: Das erste Konzert danach. Leider war die Angst der Menschen zu groß, sie blieben zuhause. Da kann ich nur hoffen und meinem Motto treu bleiben: Ein Leben ohne Risiken ist kein Leben mehr.
Whiskeyverkosterin, Umweltaktivistin, Liszt-Liebhaberin: Die Schweizer Pianistin und Dirigentin Beatrice Berrut liebt es ungewöhnlich. Das Fliegen hat sie der Umwelt zuliebe aufgegeben, mit dem Zug jedoch reist sie (unter normalen Umständen) um die halbe Welt, um ihr Publikum zu begeistern. Um so weit zu kommen, geht sie beim Üben an ihre Grenzen – so sehr, dass die Musik auch nächtens in ihrem Kopf weiterläuft. Da hilft dann nur noch eines: ein kleines Glas edler Whiskey.Fotografie Elias Hassos
in s p i — r a t io n
von Marcus Schäfer
Der Stillstand des Systems, von industrieller Produktion und gesellschaftlichem Leben, kam zwangsweise. Endlich: Das Hamsterrad bleibt stehen und gibt uns Zeit zur Reflexion. Ich konnte an meinem ersten Fotobuch arbeiten und empfinde die aktuelle Situation als eine positive. Ich bin immer noch wie besessen davon, etwas zu produzieren. Mein Kopf kommt nicht zur Ruhe. Das Kommerzielle fällt weg, die eigene Kreativität will wieder ausgepackt werden. Viele Menschen werden die persönliche Dachkammer in ihrem Kopf endlich mal wieder betreten. Und dort werden sie womöglich eine verstaubte Kiste finden, gefüllt mit Ideen, Talenten, Visionen. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen gerade jetzt Entdeckungen machen, die ihnen ihren eigenen ästhetischen Drall verleihen.
Porträts, Stillleben, Studio, Reisen, Aktfotos sowie Kohlezeichnungen und Skulpturen – die Arbeit von Marcus Schäfer ist multidisziplinär, wirkt in ihrer Stilistik wie aus der Zeit gefallen. Zu seinen Kunden aus Mode und Beauty zählen u.a. Chanel, Hermès oder La Prairie. Der in London lebende Künstler vernetzt sein Archiv in faszinierenden Bildserien. Experimentelle, visuelle Erzählungen zwischen Ästhetik und Kunst. Der Titel einer Edition seiner Arbeiten fasst das selbstreflektierende Werk perfekt in Worte: “What scares me the most is dealing with my own reality”. Fotografie Robert Kalman, Marcus Schäfer
fr e i — h e i t
von Klaus Stockhausen
Ich hatte niemals das Gefühl, nicht frei zu sein. Das liegt vielleicht auch an meiner Lebenseinstellung. Für mich findet Freiheit im Kopf statt. Wenn ich denke, dass ich eingesperrt bin, dann habe ich vielleicht ein Problem im Kopf. Auch die letzten Wochen habe ich, zumindest anfangs, als angenehm empfunden. Keine Hysterie, keine Panik, keine extra Klopapierkäufe. Ich wurde sogar zu so einer Art Quarantäne-Schlampe. Ich kontrolliere meine Mails nur noch morgens und abends. Letzte Woche war ich das erste Mal seit dem 3. März wieder im Studio. Abends war ich völlig fertig und erschöpft. Es war so laut und wuselig. Daran muss man sich erst wieder gewöhnen. Auch das Tragen einer Maske ist für mich keine so große Einschränkung, dass ich es nicht aushalten könnte. Ich finde es nicht gerade toll, aber ich mache es. Man kann die Maske ein bisschen mit einem Kondom vergleichen. Manche fühlen sich dadurch eingeengt, andere fühlen sich safe. Freiheit definiert sich für jeden anders.
Klaus Stockhausen ist Fashion Director des ZEITmagazins. Wenn er schnell eine Entscheidung treffen muss, hört er auf sein Bauchgefühl. Dieses führte ihn von einem katholischen Gymnasium in Bonn in die Club-Szene der 80er Jahre, die er wie kaum ein anderer als DJ prägte. Die Modewelt war schon immer seine, egal ob er in frühen Jahren Thierry Mugler-Klamotten aus dem Kofferraum verscherbelte oder unter anderem als Stylist von Celebrities wie Naomi Campbell engagiert wurde.Fotografie Markus Pritzi
of fe n — h ei t
von Frauke Gembalies
Wenn man gar nichts Genaues im Sinn hat, sondern immer seiner Passion folgt, wird einen das Leben von ganz allein der richtigen Bestimmung zuführen. Davon bin ich heute überzeugt: Allzu konkrete Vorstellungen, was die Zukunft bringen soll, schränken ein. Die wahren Chancen zeigen sich dann nicht oder werden verkannt. Offen denken und gleichzeitig ganz bei sich bleiben – diese Balance empfinde ich als essenziell. Ich selbst hatte niemals das Ziel, einmal ein eigenes Label zu gründen. Nun trage ich beinahe ausschließlich unsere Mode. Und gerade jetzt bin ich sehr stolz zu sehen, dass Ekatharina und ich ein Produkt herstellen, das dieser Zeit entspricht. Arbeit und Privates verschmelzen zu einem – das ist etwas, was wir in unseren Entwürfen auch vereinen. Wir müssen uns nicht neu erfinden oder umdenken. Mit unserem Konzept folgen wir unserem eigenen Rhythmus, nicht den vorgegebenen Zyklen einer Branche. Tatsächlich ermutigt es mich gerade zu sehen, dass die meisten Menschen auch noch andere Sorgen haben, als ständig die neuesten Kollektionen zu besitzen. Das ist ein sehr reales Gefühl!
Mit der Gründung von GEMBALIES im Jahr 2013 haben sich Frauke Gembalies und Ekatharina Iliadis gegen Boutiquen und gegen einen Onlinestore entschieden. Sie pflegen persönlichen Kontakt mit ihren Kundinnen auf Trunkshows in Berlin, London, Paris, Düsseldorf, München, Hamburg, Genf und Zürich. „Es geht nicht darum, den reinen Bedarf zu decken. Wir möchten Freude machen, unsere Mode leben lassen und offen für neue Wege sein“, sagt Gembalies. Fotografie Alex de Brabant, Mirja Zentgraf
w a hn — s in n
von Rocket & Wink
Wir sind nicht maskiert. So sehen wir aus. Wenn Wink einkaufen geht, trägt er Mundschutz. Dabei hat er nicht mal einen Mund. Doch Verantwortungsbewusstsein geht vor. Wir sind zuallererst Unterhaltung und die sollte echt sein. Rocket & Wink ist als Gesamtes zu sehen: Wir sind, wer wir sind. Mit unseren Arbeiten versuchen wir Anderes und Ungesehenes zu zeigen. Wie mit unserer Erscheinung. Wir können machen, was wir wollen. Es befreit. Kein Alter, keine Vorgeschichte, kein Werdegang. Bis auf das, was man liest. Vielleicht haben wir jahrelang in Designbüros und Werbeagenturen gearbeitet. Vielleicht haben wir deshalb kreativ bewusst wieder komplett bei null angefangen. Wo liest man so was? Auf unserer Website? Keine sichere Quelle. Wir sind natürlich auch im Homeoffice. Wink im Baumhaus, ich in einem gemütlichen Raketensilo. Tagesgeschäft per Videoschalte, wenn Winks Lichtung nicht gerade wieder zum Funkloch wird. Diese Art der Zusammenarbeit entschleunigt die Gedanken. Und räumt sie auf. Sie kennen das auch: Wenn’s aufgeräumt ist, hat man Platz für neue Ideen. Einfach machen! Nicht lange überlegen, es nicht verkomplizieren. Wenn es Spaß macht, erfüllt es direkt seinen Zweck. Wenn wir Spaß an der Arbeit haben, wird Qualität draus. Die schätzen unsere Kunden verrückterweise. Wir machen so weiter. Immer Hau-Drauf. Hau-George-Lucas. Kreation kennt keine Grenzen, Phrasendreschen kein Ende. Die innere Stimme keinen Mundschutz.
Ganz anders und ziemlich verrückt: Rocket & Wink sind ein preisgekröntes Kreativduo aus Hamburg, deren bunte und laute Design-Arbeiten schon Kunden wie Rammstein, fritz-kola, Beck's, Deutsches Schauspielhaus und Porsche glücklich machten. Als Raketenwissenschaftler und Naturbursche genießen sie Dank ihrer Helme hundertprozentige Anonymität. Zu ihrem 10-jährigen Jubiläum nächstes Jahr wünschen sich die beiden nichts weniger als eine wahnsinnig große Ausstellung, damit die Welt Rocket & Wink hautnah erleben kann – so hautnah es die Welt bis dahin zulässt.Fotografie Rocket & Wink
irr i — t at ion
von Lauretta Suter
In den letzten Wochen fühlte es sich manchmal an, als stünde die Zeit still. Natürlich ließe sich das auch über meine fotografischen Arbeiten sagen. Indem ich meine Protagonistinnen in pastellfarbene, harmonische Kulissen einbette und sie in einer unkonventionellen Situation oder einem Bewegungsablauf einfriere, werden sie zur menschlichen Skulptur. Schon eine Handbewegung oder Blickrichtung kann genügen, um dem Bild diesen leichten Edge zu geben, den ich suche: Die Kombination aus perfekter Traumwelt und dem subtilen Störfaktor, der die Harmonie wieder etwas bricht. Die Frage nach dem Realitätsgehalt ist bei meinen Projekten eigentlich völlig irrelevant, mir geht es darum, eine Stimmung einzufangen und emotionale Befindlichkeiten zu transportieren. Dabei können auch mal braune Schweinchen oder flauschige Monster die Stars einer Inszenierung sein. Genau diese surreal angehauchten Ideen und Sehnsüchte ermöglichen auch Menschen einen Zugang zu meiner Fotografie, die sich vielleicht nicht so für Mode begeistern. Bei meiner Bildserie 6AM dreht sich alles um die frühen Morgenstunden und die damit verbundenen Mühen. Tatsächlich höre ich immer wieder, dass sich die Betrachter mit den teilweise leicht unangenehmen Situationen meiner Modelle gut identifizieren können. Das ist faszinierend: Die Gefühle, die meine Geschichten transportieren, sind für einige durchaus real.
Den Stillstand der vergangenen Wochen nutzte die Modefotografin Lauretta Suter, deren Fotografie internationale Magazine wie die italienische Vogue bezaubert, um sich dem Thema Modefilm zu widmen. Eine besondere Herausforderung für die Züricher Künstlerin: Denn wie lässt sich ihre Handschrift in ein Medium übertragen, in dem der eingefrorene Moment naturgemäß entfällt. Fotografie Christian Dietrich, Lauretta Suter
s til l — s t an d
von Patrik Muff
In meinem Leben dreht sich alles um Optik. Ich versuche zu sehen, was andere nicht sehen, schaue dorthin, wo andere wegschauen. Und versuche, alles das in meine Kreationen einzubinden. Stillstand? Kommt in meinem Vokabular nicht vor. Immer wenn ich ahne, dass womöglich Ruhe einziehen könnte, verändere ich etwas. Ich löse meine Wohnung auf. Kaufe einen VW Bus. Breche auf. Reise. Und wandle Stillstand in Bewegung um. Meine Kreativität und Kraft schöpfe ich daraus, dass ich nie gelernt habe, Beruf und Leben zu trennen. Jahrelang habe ich kontinuierlich gearbeitet. Jetzt, wo dieser stete Fluss unterbrochen wurde, lasse ich Ideen Wirklichkeit werden, für die ich mir bislang keine Zeit genommen habe: Seit zwei Monaten arbeite ich nahezu durchgehend an meiner neuen Kollektion „Sehnsucht“. Sie symbolisiert Dinge, die für uns gerade unerreichbar scheinen. Das Reisen. Essstäbchen. Etwas Kleines, das an einen Strandbesuch erinnert. An Urlaub. An Länder, in die wir nicht fahren können. Es mag ein wenig kitschig sein, aber das ist meine Art, den aktuellen Zustand zu verarbeiten.
Es ist vor allem die handwerkliche Perfektion, die den aus der Schweiz stammenden Künstler Patrik Muff auszeichnet. Detailreich, verspielt und opulent sind seine Ringe, Ketten und Armbänder, voller Symbolik, balancierend zwischen Punk und Barock. Der inzwischen in München ansässige Freigeist ist einer der bekanntesten Schmuckdesigner überhaupt und sein Atelier ein Kabinett an Unikaten: Bilder, Möbel und Objekte. Stillstand kennt auch diese Sammlung nicht. Fotografie Martin Kreuzer, Patrik Muff
h ei — m a t
von Priscillia Grubo
Ist es ein Gefühl oder ein Ort? Vielleicht würde ich Heimat am ehesten als das Zusammenspiel von beidem beschreiben, denn ich kann einen Ort nur dann mein Zuhause nennen, wenn er mich emotional berührt. In dieser unsicheren Zeit gibt es nur einen Platz auf der Welt, der mich Heimat empfinden lässt, das ist München. Schon bald könnte es wieder ein völlig anderer sein. Die verschiedenen Wohnorte in meinem Leben haben auch meine Arbeit geprägt. Paris zum Beispiel ist so voll, so laut, so bunt. Es gibt dort so unendlich viele völlig unterschiedliche Menschen. Die multikulturelle Gesellschaft, die ich mit meiner Fotografie zeigen möchte, ist eine, in der es keine Ausnahmen gibt. Nur Menschen und ihr persönliches Leben. Heimat bedeutet für mich auch, sich selbst zu kennen. Wenn du mit dir im Reinen bist und die richtigen Entscheidungen für dich treffen kannst, bist du angekommen. Und kannst überall auf der Welt zuhause sein.
Priscillia Grubo ist eine Fotografin und Filmemacherin mit karibischen und französischen Wurzeln, die in einem kleinen Vorort von Paris aufgewachsen ist. Während eines Schüleraustauschs verliebte sie sich in München und kam nach dem Studium dorthin zurück, um als Fotografin ihr Glück zu versuchen. Heute, drei Jahre später, hat sie in der bayerischen Metropole ihr neues Zuhause gefunden – als Assistentin bei Fotoproduktionen und mit eigenen, eindrücklichen Porträtarbeiten. Fotografie Priscillia Grubo
f an t a — s i e
von Kristian Schuller
Mit der Idee aus dem Alltag fliehen zu wollen kann ich nichts anfangen. Durch die Fotografie halte ich an den Träumen meiner Kindheit fest und gestalte mir die Welt, wie ich sie für lebenswert erachte. Aus der rumänischen Kultur und der Zeit des Kommunismus zu kommen hilft mir dabei sehr. Denn die eigene Realität zu erschaffen, bedeutet nicht, dass alles immer Happy-Go-Lucky ist. Ich habe von klein auf gelernt, entweder Dinge zu hinterfragen oder mich zu adaptieren. Und auch, dass es ganz bestimmt nicht nur eine Sichtweise gibt. Noch heute erlebe ich es so: Du gehst durchs Leben und plötzlich wird dir eine Torte ins Gesicht geknallt und du fragst dich: Warum ich und wofür? In dieser Welt zu sein bedeutet: Wir alle gehen mehr oder weniger das Risiko ein, dass uns etwas passieren kann. Wenn ich es emotional beschreiben würde: Gute Augenblicke treffen auf Zukunftsängste. Unsere größte Aufgabe ist, eine unbeschwerte Fantasie aufrecht zu erhalten. Weil unsere größte Gefahr genau darin besteht, dass wir uns im Alltag im Hamsterrad festfahren und ganz schnell alles verlieren. Ganz realistisch: Fantasie ist unser wunderbarstes Gut.
Geboren und aufgewachsen ist der Fotograf Kristian Schuller im rumänischen Transsylvanien, auch Heimat des Vampirfürsten Dracula, vieler Mythen und Sagen. Ob die Fantasie bei ihm in den Genen liegt? „Meine Kinder haben jedenfalls nur Flausen und Träumereien im Kopf“, sagt Schuller, der mit seiner Familie in New York und Berlin lebt und weltweit für Magazine wie Harper’s Bazaar und Vogue arbeitet. Neben der Modefotografie dreht er Filme oder porträtiert Menschen – wie den Illustrator Olaf Hajek. Fotografie Breuning Portraits, Kristian Schuller
m o r — g en
von Stefan Jürgens
Ich habe schon lange aufgehört, zu weit nach vorne zu blicken. Natürlich ist es wichtig, sich Ziele zu setzen. Aber man sollte dabei flexibel bleiben. Ich setze Ziele eher ähnlich einer Kompassnadel. Die Richtung muss stimmen. Schließlich geht man am Ende nie den direkten Weg. Immer wieder findet man sich in Seitenstraßen wieder – auf Wegen, die man nur entdeckt, weil der direkte nicht funktioniert hat. Und das ist auch gut so. Folgte man strikt einem Masterplan, was würde man alles verpassen? Mein Morgen ist nicht planbar, aber ich kann mein Heute gestalten. Wenn ich heute ehrlich bin, brauche ich morgen nicht lügen. Wenn ich heute mutig bin, muss ich vielleicht morgen so manchen Kampf nicht führen. Morgen kann eine Teufelsmaske oder ein Engelsgesicht tragen. Morgen kann Scheitern oder Erfüllung bringen. Morgen kann ebenso eine Hoffnung in der Dunkelheit sein, wie eine Bedrohung. Selbst Dunkelheit kann morgen Licht bringen. Sie kann Instinkte schärfen, neue Prioritäten definieren, Blickwinkel verändern – uns dazu bewegen, Dinge nicht mehr als selbstverständlich anzusehen. „Die Menschen vergessen so schnell“, höre ich immer wieder. Doch wer sind „die Menschen“? Wir alle. Jeder einzelne von uns. Erwartungshaltungen an andere im Tausch gegen Eigenverantwortung. Am Ende ist jeder selbst für sein individuelles Morgen verantwortlich. „Alles, was man gibt, kommt zurück“, ein Satz meines Vaters, der sich bei mir immer bewahrheitet hat. Die Welt wird besser, wenn ein jeder bewusst versucht, etwas beizutragen. Das passiert nicht von heute auf morgen. Aber es passiert.
Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt: Stefan Jürgens kann sich damit anfreunden, dass das Leben oft unvorhersehbar ist. Dass er es nach der Schauspielschule und seiner Zeit am Theater erst als Tatort-Komissar und dann als „Comedystar“ zur Bekanntheit bringt, hätte er nie gedacht. Als wären das nicht genug Talente, hat der vierfache Vater als Liedermacher auch noch drei Studioalben veröffentlicht. Das jüngste mit dem Titel „Was zählt“ erschien Ende 2019 und nahm, Vorahnung inklusive, die Vision einer Haltung in unrunden Zeiten vorweg: sich auch mal mit den kleinen Dingen des Lebens beschäftigen. Fotografie Tine Acke
e in — s ch r än k un g
von Sarah Illenberger
Der Morgen ist für mich die wichtigste Zeit des Tages. Im Tag anzukommen und die eigenen Gedanken niederzuschreiben, wirkt befreiend: Man merkt, was einen tatsächlich beschäftigt. Fernbestimmung, Distanz, Sehnsucht – die aktuelle Situation arbeitet in mir und findet Ausdruck in meinen Arbeiten. Jeden Tag ist ein neues Oeuvre an der Reihe. Ein Ballkleid, das ich aus Absperrband gefertigt habe, zum Beispiel. Diese Zeitdokumente schaffe ich für mich selbst. Ich wollte nicht einfach weitermachen wie vorher, sondern aus der wohltuenden Ruhe schöpfen. Seit dem Umbruch konzentriere ich mich verstärkt auf Rituale. Auch zum Schreiben habe ich zurückgefunden. Voller Ideen versuche ich, aus der Einschränkung Kreativität entstehen zu lassen. Normalerweise genieße ich das Bummeln in den Kreativläden der Stadt und spare nie, wenn es darum geht, Werkstoffe zu besorgen. Jetzt habe ich gelernt, meinen Blick für das zu schärfen, was die Welt mir gratis anbietet. Gerade der Frühling ist dafür eine wundervoll reiche Jahreszeit: Blütenblätter, Rindenstücke, Samen, Grashalme – diese Materialien habe ich als Kind schon geliebt.
Die Münchnerin Sarah Illenberger ist sowohl in der Illustration als auch im Design zuhause. In ihrem Berliner Studio kreiert sie momentan Designstücke zum Anfassen, hat aber schon für namhafte Publikationen wie das Zeit Magazin oder die New York Times illustriert, oder die Schaufenster der Pariser Luxusmarke Hermès inszeniert. Ihr Schöpferdrang kennt keine Pausen: Und so kann es passieren, dass sie mit Freunden beim Essen sitzt und plötzlich anfängt, die Dinge auf dem Tisch neu anzuordnen. Illustration Sarah Illenberger Porträt Jelka von Langen
g eb o rg e n — h ei t
von Nanna Pause
Gerade habe ich einen Mantel von einer Kundin zurückbekommen, weil der Stoff an einer Stelle schadhaft war. In diesem Falle bin ich nicht unglücklich; solch einen wollte ich ohnehin für mich selbst. Die Kundin wird einen Neuen bekommen und dieser wird liebevoll repariert. Wenn Menschen sich in meiner Kleidung geborgen fühlen, berührt mich das. Der Mantel in jeglicher Ausführung ist fester Bestandteil meiner persönlichen Uniform: Nach innen umarmt er zärtlich und nach außen lässt er auch mal die Muskeln spielen und stärkt die Persönlichkeit. Diese Balance zwischen Komfort und Haltung muss stimmen. Die aktuellen Umstände haben viele Gedanken, die mich seit langem begleiten, bestärkt und destilliert. Früher habe ich mir oft den Kopf darüber zerbrochen, wo es hingehen soll, ohne dadurch wirklich weiterzukommen. Im Moment habe ich das ad acta gelegt. Das Bemühen, mit sich im Reinen zu sein, wohlwollend und ehrlich mit sich umzugehen – wenn man sich darin übt, trägt man Geborgenheit mit sich wie die Schnecke ihr Haus, egal, wo man sich befindet.
In der Krise wächst die Sehnsucht nach Sizilien: In den Tälern der Monti Nébrodi lässt Kreativdirektorin und Designerin Nanna Pause ihre Kollektionen nähen, Mäntel und Jacken aus feinsten Double-FaceStoffen. Ihre Liebe zur hochwertigen Handarbeit ihrer Heimat sichert den Näherinnen ein Einkommen – und eine Möglichkeit, eine über Generationen weitergegebene Tradition am Leben zu erhalten. Nanna Pause hat ihr eigenes Label im Jahr 2018 gegründet, zuvor arbeitete sie viele Jahre mit Größen wie Louis Vuitton und Christian Dior zusammen. Fotografie Jeremy Stigter, Gudrun Bargmann
k o n — t a k t
von Peter Rigaud
Diese bestimmte Temperatur im Raum, das Gefühl zwischen mir und der Person oder Gruppe, die ich fotografiere – die gesamte Atmosphäre während eines Shootings ist eine sinnliche Erfahrung, die unverzichtbar ist. Seit Kontaktverbot und Social Distancing die wohl strapaziertesten Begriffe unserer Zeit geworden sind, habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie es mit meiner Arbeit weitergehen soll. Ich habe vieles ausprobiert. Von FaceTime-Shootings bis Zoom Meetings hat mich nichts wirklich befriedigt. Ohne die persönliche Verbindung zwischen Fotograf und Model funktioniert Fotografie einfach nicht. Ebenso wenig wie die Astronautennahrung, die ein Raumfahrer zu sich nimmt, das eigene Lieblingsgericht oder ein Essen bei Freunden ersetzen kann. In den letzten Wochen beobachte ich, dass sich die Wahrnehmung meiner eigenen Bilder gewandelt hat: Was ich früher als genial empfunden habe, sehe ich heute in keinem Kontext mehr. Und genauso andersrum. Fotos sind Zeitdokumente – ein epochales Ereignis wie dieses lässt uns neue Perspektiven einnehmen und verleiht Bildern ein anderes Gewicht.
Der in Wien und Berlin lebende österreichische Fotokünstler Peter Rigaud fotografiert seit über 20 Jahren nahezu täglich. So auch während des Lockdowns, indem er zuhause seine Familie mit der Kamera begleitete und nachts durch das menschenleere Berlin streifte, um die leeren Läden auf dem Ku’damm zu dokumentieren. Seine Porträts von Stars, aber auch seine kontinuierliche Beobachtung des Alltags werfen einen natürlichen, fast sentimentalen Blick auf die Welt. Fotografie Peter Rigaud
h u — m o r
von Myrzik & Jarisch
Es kann ein einzelnes Wort sein, das wir hören. Oder eine Situation, die sich vor uns abspielt. Im selben Augenblick dringt ein Detail in unsere Wahrnehmung vor, das wir beide bemerkenswert finden. Fotografie, die ihren eigenen versteckten Humor besitzt, fanden wir schon immer toll. Unsere gemeinsame Perspektive dazu haben wir in fast 30 Jahren gemeinsamer Arbeit entwickelt. Vielleicht kann man diese bestimmte Art der Beobachtung als Blick für die Zwischenräume des Lebens beschreiben. Noch immer bedeutet jedes Foto für uns ein neues Experiment. Wir versuchen Bilder nicht zu verschlüsseln, sie sollen den Menschen etwas bedeuten. Sichtbar machen und teilen, was uns in den Sinn gekommen ist. Humor ist nichts, was sich groß verändert, sondern eher wie ein Instinkt, der einen begleitet. Doch die Welt um uns verändert sich und wir wachsen mit, jede Zeit und jedes Ereignis werden ihre eigene Bildsprache entwickeln. Außergewöhnliche Momente im Leben zeigen uns, uns selbst nicht immer so wichtig zu nehmen, einen Schritt zurück zu treten und genau hinzuschauen, wie die Situation von außen betrachtet wirkt.
Ulrike Myrzik und Manfred Jarisch lernten sich auf der Fotoschule kennen. Und lieben. Seit 1992 arbeiten sie als Fotografenteam zusammen, durchquerten China, Amerika und Europa, die ganze Welt. Im Fokus ihrer Bilder steht der Mensch, auch Tiere, gerne Architektur, manchmal Objekte – eigentlich fast alles. Stilistisch offen erzählen ihre Fotografien und Filme immer neue Geschichten, ästhetisch, skuril, raffiniert. Aktuell entdecken sie ihre Leidenschaft für kaputte Objektive und unscharfe Fotos. Fotografie Myrzik & Jarisch
w o r — t e
von Jo Lendle
In den letzten Wochen hatte ich das Gefühl, ich muss dafür sorgen, dass die Leute sich nicht aus den Augen verlieren. Also habe ich, als der ganze Verlag ins Homeoffice ging, jede Nacht einen Brief an alle geschrieben, über die Dinge, die in dieser komischen Zeit gerade passieren. Darüber, wie sich das Arbeiten von zu Hause aus anfühlt oder über die Phänomene der Videokonferenz, wenn die Leute zum Beispiel in einer Pose einfrieren und auf der Tonspur munter weiterreden und sich folglich staunend selbst zuhören. Diese Briefe waren wie unser gemeinsames Frühstücksritual, auch um sich unter Umständen nicht so alleine zu fühlen.
Richtige Worte sind nichts absolutes. Worte zählen dann, wenn sie treffen. Es wäre auch in Ordnung gewesen, wenn ich jeden Morgen eine steife Tageslosung verkündet hätte, wenn das mein Ding wäre. Auch wann Worte uns berühren, lässt sich nicht verallgemeinern. Und somit ist es völlig okay, wenn jemand von meinen nächtlichen Briefen genervt ist oder einfach nichts damit anfangen kann. Das berührt das Feld der Literatur, wo es immer möglich ist, dass die einen sagen, das ist das Buch, das mein Leben verändert hat, während andere es leer oder schmalzig finden.
Aus den Reaktionen lässt sich schlussfolgern, dass es guttat, in der Situation etwas Staunenswertes zu entdecken, statt Schrecken, Dystopie und Apokalypse – anfangs auch mögliche Lesarten der Gegenwart. Da waren Komik, Selbstironie, aber auch Ermunterung, eine Mischung aus allem. In Theodor Fontanes Ballade John Maynard sagt dieser als Kapitän eines brennenden Schiffs: „Soll Rettung kommen, kommt sie nur so.“ Darin steckt eine gewisse Hoffnung, auf dem richtigen Weg zu sein, auch wenn die Situation gerade nicht sonderlich angenehm ist. Insofern fühlte ich mich John Maynard in den letzten Wochen sehr verbunden. Man weiß nicht, was der nächste Tag bringt und so mussten wir unseren Kurs auch immer wieder korrigieren. Es war wie Wellengang. Aber nach dem ersten Schrecken ist es verblüffend gut weitergegangen für uns. Die Welle ging nach oben und nicht nur nach unten. Das half natürlich, diese Zeit zu ertragen.
Schriftsteller, Lektor, Programmleiter und seit 2014 Verleger beim Carl Hanser Verlag, einer der renommiertesten literarischen Adressen Deutschlands. Jo Lendle ist ein bedingungsloser Liebhaber von Büchern, Literatur und ihren Autoren. In seinem Blog schreibt er zu Beginn der Krise sehr treffend: „Es wird jetzt ein bisschen stiller. Versuchen wir es als eine Art Advent zu betrachten. Als Zeit zwischen den Jahren, auch wenn es sich in diesem Fall wohl um die Zeit zwischen den Jahren 2019 und 2021 handelt.“ Fotografie Hanser Literaturverlage
k ö r — p e r
von Prisca Zeisel
Natürlich gab es da irgendwann einmal den Moment, an dem ich mich gefragt habe: wofür eigentlich das Ganze? Aber dieses emotionale Loch ging schnell vorbei. Bald ersetzte ein neues Gefühl den kurzen Zustand der Lethargie: das der Dankbarkeit. Ich bin dankbar für die Routine und die Disziplin, die ich mir über Jahre antrainiert habe und ohne die unser Job nicht machbar wäre. Die Routine hat mir im Corona-Shutdown geholfen, den Alltag zu strukturieren, weiterzuarbeiten und positiv zu denken. Als Tänzerin arbeitet man immer hart, zum einen für das Publikum, zum anderen aber auch für sich selbst. Wenn du Profi bist, brauchst du die tägliche Bewegung und Herausforderung. Da ich gerade einen Höhepunkt in meiner Karriere erreicht habe, ist die momentane Zwangspause ohne die regulären Auftritte im Theater aber natürlich schon ein bisschen frustrierend. Doch ich arbeite einfach weiter. Wenn ein Computer hochfährt, müssen alle Programme funktionieren. Ebenso ist das mit meinem Körper: Wenn ich morgens aufwache, muss ich mich bewegen. Fleiß und Disziplin haben mich und meinen Körper bis hierhergebracht. Dafür bin ich dankbar. Anstatt also den Kopf in den Sand zu stecken in der momentanen Situation, pflege ich lieber mich, meinen Körper und mein positives Verhältnis zu ihm.
Prisca Zeisel ist Erste Solistin beim Bayerischen Staatsballett. Die gebürtige Wienerin war über viele Wochen keine angenehme Nachbarin, meint sie. Ständig klopfte sie mit den Spitzenschuhen beim morgendlichen Online-Training gegen die Wände ihrer Wohnung. Nun ist sie froh, wenigstens zum Trainieren wieder in die großen Studios der Bayerischen Staatsoper zu dürfen. Und noch mehr freut sie sich auf den Moment, an dem sie mit vielen Grand Jetés über die Bühne schweben kann und die Zuschauer klatschen. Fotografie S. Gherciu, M. Leidgschwendner